Auszug Tätigkeitsbericht 2009
Die Prüfung betraf nur die Deutsche Rentenversicherung Bund (ehemals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (ehemals Bundesknappschaft, Bahnversicherungsanstalt, Seekasse).
Auszug aus dem Tätigkeitsbericht 2009 des Bundesversicherungsamtes:
"Im Jahr 2007 hat das Bundesversicherungsamt die Aktenprüfung von Altersrenten bei den beiden seiner Aufsicht unterstehenden Rentenversicherungsträgern abgeschlossen. Insgesamt wurden 450 Aktenvollprüfungen durchgeführt. Jeweils 75 Akten entfielen auf die Leistungsarten Regelaltersrente im Anschluss an eine Erwerbsminderungsrente, Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit und Altersrente für langjährig Versicherte.
In sehr vielen Fällen müssen auf Veranlassung des Bundesversicherungsamtes hin Renten neufestgestellt werden. Dies belegt, dass es trotz zunehmender technischer Unterstützung nach wie vor schwierig ist, das komplexe Rentenrecht fehlerfrei in die Praxis umzusetzen.
Eine wesentliche Prüferkenntnis war, dass die Rentenversicherungsträger im Rahmen der Antragsbearbeitung unzureichend beraten. Grundsätzlich erhalten die Antragsteller, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, die Rente, die sie beantragen. Da die Rentenhöhe allerdings nicht nur von Beitragsmonaten, sondern auch von der Leistungsart abhängen kann, entstehen Probleme, wenn auf dem Antragsvordruck nicht die vorteilhafteste Rentenart angekreuzt wird. So ist es für Frauen, die vor Dezember 1944 geboren wurden, günstiger eine Altersrente für Frauen zu beziehen als eine andere Altersrentenart (z. B. wegen Arbeitslosigkeit). Aufgrund von Vertrauensschutztatbeständen und Übergangsvorschriften fällt der Rentenabschlag (Stichwort: Zugangsfaktor) bei dieser Rentenart geringer aus. Beantragt demnach eine Frau, die vor Dezember 1944 geboren ist, anstelle einer Rente für Frauen eine ungünstigere andere Altersrente, ist der Rentenversicherungsträger verpflichtet, die Antragstellerin entsprechend zu beraten. Wie die vom Bundesversicherungsamt bei beiden Rentenversicherungsträgern veranlassten Suchläufe ergaben, haben insgesamt 8.000 Rentnerinnen zu geringe Altersrenten erhalten. Die Rentenneufeststellungen wurden zwischenzeitlich durchgeführt und die Berechtigten können sich im Regelfall über die Erhöhung ihrer monatlichen Rente im zweistelligen Eurobereich und Nachzahlungen, die im drei- bis fünfstelligen Eurobereich liegen, freuen. Die Gesamthöhe der Nachzahlungen dürfte sich - ohne die höheren laufenden Zahlungen zu berücksichtigen - im zweistelligen Millionenbereich bewegen.
Im Rahmen der Beratung stellt sich weiterhin stets die Frage, wann Bezieher einer Erwerbsminderungsrente eine vorgezogene Altersrente beantragen sollen. Eine Erwerbsminderungsrente wird derzeit maximal bis zum 65. Lebensjahr gezahlt. Unternimmt der Rentenberechtigte nichts, wird die Erwerbsminderungsrente regelmäßig in eine Regelaltersrente umgewandelt. Wenn weitere Zeiten nach dem Leistungsfall hinzugekommen sind, kann es vorteilhaft sein, bereits eine flexible Altersrente zu beantragen. Allerdings wird sich aufgrund von Rechtsänderungen und Rentenabschlägen in den wenigsten Fällen eine Zahlbetragserhöhung ergeben. Bei der Prüfung eines der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes unterstehenden Rentenversicherungsträgers war nur in 12 von 75 Fällen (16 Prozent) der Zahlbetrag der Altersrente höher. Der geprüfte Träger unterstellt eine Beratungspflicht im Rahmen des § 115 Abs. 6 SGB VI nur dann, wenn die Altersrente höher ist. Das kann aber regelmäßig nur durch eine individuelle Probeberechnung ermittelt werden. Diese Prüferkenntnisse wurden zum Anlass genommen, dem betroffenen Rentenversicherungsträger eine Bestandsbereinigung aufzugeben und in geeigneten Fällen die Berechtigten auf die Antragstellung einer flexiblen Altersrente hinzuweisen. Vorenthaltene Leistungen sind ggf. im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nachzuzahlen. Da mehrere zehntausend Fälle zu überprüfen sind und der Rentenversicherungsträger durch
diverse Neufeststellungsverfahren ohnehin derzeit stark belastet ist, wird das Bereinigungsverfahren noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Eine spezielle Fallgruppe wird jedoch in Kürze in den Genuss von hohen Rentennachzahlungen kommen. Zwei Fälle waren in der Stichprobe, bei denen die Gewährung der Regelaltersrente zu monatlichen Rentensteigerungen von jeweils über 270 Euro führte. Diese extremen Rentensteigerungen waren darauf zurückzuführen, dass die Berechtigen Beiträge, die anlässlich einer Heirat erstattet wurden, nachgezahlt hatten. Da die Beiträge erst nach dem Leistungsfall der Erwerbsminderung entrichtet worden waren, lagen sie der Erwerbsminderungsrente noch nicht zugrunde. Diese bis zum 31. Dezember 1995 befristete Nachzahlungsmöglichkeit ist extrem renditestark, weil für die Bewertung das "Für-Prinzip" gilt. Bei der Rentenberechnung werden die Beiträge behandelt, als wären sie im Bestimmungsjahr (z. B. 1958) gezahlt worden. In den vorliegenden Fällen hatten die Rentnerinnen aus Unkenntnis auf ca. 16.000 Euro Rente verzichtet. Der Rentenversicherungsträger hat auf Veranlassung des Bundesversicherungsamtes hin den Bestand überprüft und wird Anfang 2009 in mehreren hundert Fällen ein Neufeststellungsverfahren durchführen.
Darüber hinaus wurde beanstandet, dass bei Altersrenten, die im Anschluss an die Erwerbsminderungsrenten folgten, vielfach Beitragszeiten nicht berücksichtigt wurden. Der Bezug einer Erwerbsminderungsrente führt grundsätzlich nicht zur Versicherungsfreiheit. Auch eine rückwirkend bewilligte Erwerbsminderungsrente führt nicht nachträglich zum Wegfall der Versicherungspflicht für bereits entrichtete Beiträge. In sehr vielen Fällen mussten wir feststellen, dass nach dem Leistungsfall entrichtete Arbeitsentgelte oder Entgelte wegen Sozialleistungsbezugs bei der späteren Altersrente nicht berücksichtigt worden sind, obwohl vielfach sogar Nachweise (z. B. Abrechnung eines Erstattungsanspruchs) vorlagen, die Rückschlüsse auf eine Beitragsentrichtung zuließen. Hierzu wurde bzw. wird eine Bestandsbereinigung bei den Trägern veranlasst.
Einen weiteren Fehlerschwerpunkt bildete die Kennzeichnung, Ermittlung und Entgeltaufteilung von Berufsausbildungszeiten. Während nach früherem Recht die ersten vier oder fünf Berufsjahre pauschal höher bewertet wurden, werden jetzt nur noch tatsächliche Berufsausbildungszeiten bis maximal drei Jahre besser bewertet. Eine Kennzeichnung der Berufsausbildungszeiten und eine korrekte Entgeltzuordnung ist daher unbedingt erforderlich, damit der Zuschlag für beitragsgeminderte Zeiten in zutreffender Höhe festgestellt werden kann. Aufgrund der hohen Beanstandungsquote sind die Rentenversicherungsträger gefordert, ihren Qualitätsstandart deutlich zu erhöhen.
Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die der Aufsicht des Bundesverischerungsamtes unterstehenden Rentenversicherungsträger Renten zu früh auszahlen. Renten, die erstmals ab dem 1. April 2004 beginnen, werden gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI am Ende des Monats fällig, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; sie werden am letzten Bankarbeitstag dieses Monats ausgezahlt. Durch diese "nachschüssigen" Rentenzahlungen sollen die finanziellen Rahmenbedingungen der gesetzlichen Rentenversicherung verbessert werden. Im Rahmen unserer Prüfung mussten wir jedoch feststellen, dass unsere Träger sogenannte Nachzahlungsbeträge sogar mehrere Wochen vor ihrer Fälligkeit auszahlen und damit nicht unerhebliche Zinsverluste in Kauf nehmen. Wird eine Altersrente z. B. mit Bescheid vom 14. Mai 2007 mit einem Rentenbeginn 1. Juni 2007 festgestellt, hätte die Rente für Juni folglich erst Ende Juni ausgezahlt werden dürfen. Stattdessen wurde die Rente für Juni bereits am 14. Mai 2007 zur sofortigen Auszahlung angewiesen, weil es sich um eine nicht einzubehaltende Nachzahlung gehandelt hat. Damit wurde die Leistung fünf bis sechs Wochen zu früh ausgezahlt. Obwohl das Problem bei den Rentenversicherungsträgern schon bekannt gewesen ist, wurde die Anpassung des Rentenzahlverfahrens an die neuen rechtlichen Regelungen verschoben. Bei zeitnaher Realisierung hätten sich die Programmierungskosten bereits amortisiert, weil die Zinsgewinne mindestens ca. 55.000 bis 60.000 Euro pro Jahr betragen würden. Die Rentenversicherungsträger vertreten jedoch weiterhin die Auffassung, dass die Umsetzung der Änderungen erst mit der Entwicklung eines neuen Programmsystems erfolgen soll. Problematisch ist hierbei, dass derzeit nicht absehbar ist, wann es ein einheitliches Programmsystem für alle Rentenversicherungsträger geben wird. Die Planungen sind derzeit noch im Projektstadium. Nach Auffassung des Bundesversicherungsamtes sind die Rentenversicherungsträger gut beraten, gesetzliche Regelungen zeitnah umzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es unbefriedigend, wenn die programmtechnische Umsetzung auf unbestimmte Zeit verschoben wird."