
Herr Winkel, ab wann erhalten arbeitsunfähige Arbeitnehmer Krankengeld?

Rolf Winkel: Der Anspruch beginnt Im Prinzip mit dem Tag, an dem der Arzt die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat; bei einer Krankenhausbehandlung ab dem Tag der Aufnahme. Das regelt Paragraf 46 des Sozialgesetzbuches (SGB) V.
Aber: Solange ein Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber besteht, „ruht“ der Anspruch auf Krankengeld. Salopp formuliert: Die meist vorteilhaftere Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber verhindert zunächst einmal den Anspruch auf Krankengeld. Da der Arbeitgeber während der ersten sechs Wochen das Entgelt fortzahlen muss, springt die Krankenkasse erst ab der siebten Krankheitswoche mit dem Krankengeld ein. Dieses gibt es für dieselbe Krankheit maximal 78 Wochen lang. Dabei zählen allerdings die ersten sechs Wochen der Entgeltfortzahlung mit, praktisch sind es damit nur 72 Wochen.
Wie hoch ist das Krankengeld?
Rolf Winkel: Nach einer Faustformel beträgt das Krankengeld (ohne Abzüge für die Sozialversicherung) 70 Prozent des Bruttoverdienstes, aber nicht mehr als 90 Prozent des letzten Nettoverdienstes. Die tatsächliche Berechnung ist komplizierter. Denn nach Paragraf 47 SGB V werden vier Berechnungsmethoden vorgegeben.
Welche denn?
Rolf Winkel: Nehmen wir eine unverheiratete und kinderlose Altenpflegerin. Sie verdiente zuletzt 2.500 Euro brutto im Monat. Einmalzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld gab es für sie nicht.
Zunächst wird ihr letzter Nettoverdienst ermittelt. Das waren 1.652,75 Euro (Methode 1).
Nun werden 70 Prozent des Bruttogehalts bestimmt. Das sind im Fall der Altenpflegerin 1.750,00 Euro (Methode 2).
Als drittes werden 90 Prozent des Nettogehalts einschließlich anteiliger Einmalzahlungen ermittelt. Das sind bei der Altenpflegerin, die keine Sonderzahlungen erhalten hat, 1.487,48 Euro (Methode 3).
Abschließend werden 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze bestimmt. Das sind (2016) 2.966,25 Euro (Methode 4).
Das sind nun vier verschiedene Werte, welcher gilt denn für das Krankengeld?
Rolf Winkel:Es zählt der niedrigste Wert. In diesem Fall sind das 90 Prozent des Nettogehalts der Krankenpflegerin, also 1.487,48 Euro. Doch davon gehen noch Sozialversichertenbeiträge ab. Und zwar die Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Das sind im Beispielfall 183,87 Euro. Netto erhält sie deshalb 1.303,61 Euro Krankengeld im Monat oder 43,45 Euro pro Tag, also deutlich weniger, als sie zuletzt netto verdiente.
Darf denn der Arbeitgeber hierzu einen Zuschuss leisten?
Rolf Winkel: Grundsätzlich ja. Das können Arbeitgeber freiwillig tun, teilweise sind solche Zuschüsse aber auch in Tarifverträgen ausdrücklich geregelt – zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie Südbaden oder im Manteltarif der Chemieindustrie. Voraussetzung ist dabei meist, dass Langzeitkranke zuvor schon eine bestimmte Zeit lang im Betrieb gearbeitet haben. So gibt es nach dem Manteltarifvertrag (MTV) Chemie schon nach zwei Jahren ununterbrochener Betriebszugehörigkeit einen Arbeitgeberzuschuss zum Krankengeld. Gezahlt wird dieser bis zum Ende des zweiten Monats der Arbeitsverhinderung. Nach fünf- und zehnjähriger Betriebszugehörigkeit wird der Zuschuss noch deutlich länger gezahlt.
Gibt es für den Zuschuss eine Obergrenze?
Rolf Winkel: Ja. Die entscheidende gesetzliche Regelung hierzu findet sich in Paragraf 49 SGB V zum „Ruhen des Krankengeldanspruchs“. Der Anspruch auf Krankengeld ruht danach, „soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhalten“. Ausgenommen ist dabei ausdrücklich „einmalig gezahltes Arbeitsentgelt“, also etwa das 13. Monatsgehalt. Damit fällt das Krankengeld weg, sobald ein Arbeitsunfähiger von seinem Arbeitgeber „beitragspflichtiges Arbeitsentgelt“ erhält.
Wann ist denn das zusätzlich gezahlte Arbeitsentgelt beitragspflichtig?
Rolf Winkel: Das regelt Paragraf 23 c des Sozialgesetzbuchs IV. Danach sind Arbeitgeberzuschüsse zum Krankengeld in gewissem Rahmen nicht beitragspflichtig. Dies gilt immer dann, wenn die Zuschüsse und das Krankengeld zusammen das vorher bezogene Nettoarbeitsentgelt „nicht um mehr als 50 Euro im Monat übersteigen“.
Was bedeutet das zum Beispiel?
Rolf Winkel: Bleiben wir beim Beispiel der Altenpflegerin. Vor ihrer Krankheit hat sie bei einem Bruttoarbeitsentgelt von 2.500 Euro netto 1.672,50 Euro im Monat erhalten. Als Krankengeld erhält sie monatlich – nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge – 1.303,61 Euro. Ihr Krankengeld fällt also 368,89 Euro niedriger aus als der letzte Nettolohn. Diese Lücke darf der Arbeitgeber ausgleichen und dazu darf er nochmals 50 Euro drauflegen. Die Altenpflegerin darf damit zusätzlich zum Krankengeld vom Arbeitgeber noch 418,89 Euro monatlich erhalten. Dieser Betrag ist nicht beitragspflichtig und steht dem Krankengeldanspruch nicht entgegen.
Gilt all das auch bei einer stufenweisen Wiedereingliederung von Langzeitkranken?
Rolf Winkel: Ja. Gerade bei ihnen ist die Zuschussregelung besonders interessant. Dann hier geht es ja gerade um Fälle, in denen Arbeitnehmer, die im Prinzip noch arbeitsunfähig sind, stufenweise wieder Arbeitsleistung erbringen – aber ohne Lohn, sondern bei Fortzahlung des Krankengelds.
Die stufenweise Wiedereingliederung kommt nach Paragraf 74 Sozialgesetzbuch V für Arbeitsunfähige in Frage, die „nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten“ können und zugleich „durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden“. Dabei kann man beispielsweise zunächst mit zwei Stunden pro Tag wieder ins Arbeitsleben einsteigen und dann – etwa im Rhythmus von zwei Wochen – auf vier und sechs Stunden erhöhen. Nach sechs Wochen kann man dann im gewählten Beispiel wieder voll arbeiten. In dieser Zeit zahlt die Krankenkasse weiter das ungekürzte Krankengeld. Der Arbeitgeber zahlt dann kein Gehalt, kann aber einen Zuschuss zum Krankengeld gewähren – bis zur Höhe des früheren Nettolohns plus 50 Euro.