Gesundheit / 04.12.2019

Burnout vermeiden: „Jeder kann lernen, mit Stress umzugehen“

Mehr Aufgaben, weniger Zeit: Das kennen viele Berufstätige. Stress, Überlastung oder ein Burnout können die Folgen sein. Doch oft lässt sich das vermeiden.

Bild zum Thema Burnout vermeiden: Höhenklinik Bischofsgrün der DRV Nordbayern, Eingangsbereich

Die Höhenklinik Bischofsgrün ist spezialisiert auf Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie auf Innere Medizin und Kardiologie

Dr. Thomas Kirchmeier: Für manche Menschen kann das ein Teufelskreis werden, wenn sie nicht gegensteuern. Jeder erlebt Stress aber unterschiedlich, sodass die Frage nicht pauschal beantwortet werden kann. Anfällig sind Menschen, die mit einem sehr hohen idealistischen Anspruch und Leistungsdenken zu Werke gehen. Denn solche Menschen tun sich oft schwer, Grenzen zu setzen oder Aufgaben zu delegieren.

Gefährdet sind zum Beispiel Ärzte, Sozialarbeiter und Pflegekräfte – also Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten. Gleichwohl ist jeder Arbeitnehmer heute viel stärker gefordert, auf sich zu achten. Denn die Arbeitswelt hat sich in den vergangen Jahren erheblich verändert. Es gibt eine Entwicklung hin zu mehr kognitiven Belastungen, so dass Menschen mehr geistig gefordert werden. Gleichzeitig haben viele Berufstätige aufgrund von Arbeitsverdichtung weniger Möglichkeiten, die Belastungen abzufedern.

Bei welchen Beschwerden sollte man einen Arzt aufsuchen?

Dr. Thomas Kirchmeier: Vor allem dann, wenn man mehr als zwei Wochen gravierende Schlafstörungen hat und dadurch nur noch eingeschränkt leistungsfähig ist. Wer über einen längeren Zeitraum regelmäßig nachts wach wird, dann immer wieder grübelt und das Gedankenkarussell selbst nicht stoppen kann, sollte sich professionelle Hilfe holen. Denn das ist ein deutliches Signal, dass die seelische Balance in Unordnung gekommen ist. Bedenklich ist auch, wenn man gar nicht mehr abschalten kann, weil die Arbeit auch nach Feierabend die Gedanken bestimmt.

Manchen reicht es schon, dass sie mal länger Urlaub nehmen, sich mehr ihren Hobbies und sozialen Kontakten widmen. Andere kommen nicht alleine aus dem Gedankenkarussell raus. Wer das bei sich merkt, sollte sich schnell Unterstützung suchen, damit sich kein Burnout entwickelt. Die muss nicht immer von einem Arzt kommen. Vielen Menschen reichen regelmäßige Entspannungsübungen.

Inwiefern können Medikamente helfen, ein Burnout zu vermeiden?

Dr. Thomas Kirchmeier: Zu Medikamenten würde ich nur bei sehr gravierenden Schlafstörungen raten, die wochenlang anhalten. Dann kann es sinnvoll sein, zwei Wochen ein modernes Schlafmedikament einzunehmen. Generell helfen Medikamente aber nicht, einem Burnout vorzubeugen. Wer sich gestresst und überlastet fühlt, muss aktiv werden. Es geht darum, mit Belastungen richtig umzugehen, sich selbst zu regulieren.

Im Interview erläutert Dr. Thomas Kirchmeier, Chefarzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Höhenklinik Bischofsgrün, was genau Stress verursacht, was dagegen hilft und welche Beschwerden man ernst nehmen sollte. Zudem erklärt der Experte, warum auch in der Freizeit Gefahren lauern.

Es gibt gefühlten und tatsächlichen Stress. Welcher ist belastender?

Dr. Thomas Kirchmeier: Der gefühlte Stress, ganz eindeutig. Denn der hängt davon ab, wie man Situationen bewertet und emotional verarbeitet. Das kann ziemlich anstrengend sein, variiert aber von Mensch zu Mensch stark. Es gibt Berufstätige, die arbeiten jahrelang mehr als zehn Stunden pro Tag, ohne Beschwerden zu verspüren. Andere kommen schnell in einen Erschöpfungszustand. Hohen gefühlten Stress erleben häufig Menschen, die stark kontrolliert werden, wenig Handlungsspielraum haben, aber gleichzeitig hohe Anforderungen erfüllen müssen. Das betrifft besonders Arbeitnehmer in der Produktion oder Pflegekräfte.

Was hilft vor allem, um gefühlten Stress zu reduzieren?

Dr. Thomas Kirchmeier: Generell geht es darum, eine gute Balance zwischen An- und Entspannung zu finden. Deshalb ist regelmäßige Entspannung sehr wichtig. Das bedeutet für jeden etwas anderes. Dem einen reicht ein achtsamer Spaziergang in der Natur, der andere macht lieber gezieltes Yogatraining, progressive Muskelentspannung oder Qigong (chinesische Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform, Anm. d. Red.). Manchmal reicht es schon, sich aufrecht hinzusetzen, die Augen zu schließen, einige Male tief durchzuatmen und sich dadurch bewusst wahrzunehmen.

Generell hilft Bewegung und Sport – vor allem Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren oder Schwimmen. Die fördern die Widerstandsfähigkeit und senken den Stress. Es hilft aber auch, wenn man mehrere Male pro Woche einen 30-minütigen flotten Spaziergang macht.

Kann Freizeit zum Stressfaktor werden?

Dr. Thomas Kirchmeier: Ja, definitiv. Gerade der Freizeitbereich hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Denn durch die Digitalisierung prasseln heute sehr viele Eindrücke auf uns ein. Zudem verbringen immer mehr Menschen ihre Freizeit sitzend, sind aber kognitiven Belastungen ausgesetzt. Das Smartphone etwa erleichtert den Alltag, aber manchmal sollte man es einfach mal ausmachen und weglegen, weil es sonst zum Stressfaktor werden kann. Manchen Menschen fällt es leicht, sich einen guten Ausgleich in der Freizeit zu suchen. Immer mehr Menschen tun sich aber schwer, den vielen Reizen etwas entgegenzusetzen. Deswegen ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und Grenzen zu ziehen.

Wie wichtig ist es, Stress positiv zu konnotieren?

Dr. Thomas Kirchmeier: Das ist ein zentraler Aspekt. Denn ein Burnout ist oft weniger auf tatsächliche Arbeitsbelastung, sondern eher auf eine problematische Einstellung zur Arbeit zurückzuführen. Was für den einen eine belastende Situation ist, nimmt ein anderer als Herausforderung wahr. Stress ist nur dann ein Problem, wenn er negativ konnotiert und dadurch zur Belastung wird. Wie ein Mensch Stress bewertet, hängt von der eigenen Entwicklung ab. Wer in einem stabilen Elternhaus aufgewachsen ist, ist in der Regel widerstandsfähiger und weniger gefährdet. Jeder kann aber lernen, besser mit Stress umzugehen.

Lange Zeit war man der Ansicht, dass ein Burnout vor allem durch zu viel Arbeit entsteht. Mittlerweile weiß man, dass Konflikte eine zentrale Rolle spielen ...

Dr. Thomas Kirchmeier: Entscheidend ist, welche Haltung man zu Konflikten hat. Wer ein Burnout entwickelt, kann nämlich oft nicht so gut mit Konflikten umgehen. Erst fühlt man sich überlastet, dann kommt Streit mit Vorgesetzten oder Kollegen hinzu. Eine erhebliche Belastung ist es natürlich, wenn dann auch die Beziehung zum Partner konfliktreich ist. Deshalb ist es so wichtig, eine konstruktive Konfliktkultur zu entwickeln und sich Zeit füreinander zu nehmen. Wer Konflikte in Beziehungen offen ansprechen und austragen kann, ist weniger anfällig für einen Burnout.

Wie wichtig sind regelmäßige Auszeiten im Berufsalltag?

Dr. Thomas Kirchmeier: Alle zwei, drei Stunden sollte man ein paar Minuten innehalten. Ein kurzes Gespräch mit einem netten Kollegen ist zum Beispiel Entspannung pur. Entscheidender ist aber, dass man sich die Freizeit nicht zu vollpackt. Denn häufig wird der Druck aus dem Berufsalltag in die Freizeit übertragen – und dann fehlt das Gegengewicht. Einfach mal in den Urlaub zu fahren und zwei Wochen gar nichts zu machen, reicht vielen Menschen nicht. Denn Freizeit soll sehr intensiv, mit vielen Erlebnissen verbunden sein. Jeder sollte sich mal hinterfragen, ob das wirklich guttut.

Inwiefern kann man sich durch Ernährung vor einem Burnout schützen?

Dr. Thomas Kirchmeier: Eine ausgewogene, eher leichte Ernährung in Richtung mediterrane Kost wirkt sich positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit aus. Das hat zwar nicht direkt etwas mit Stress zu tun – aber: Wenn man den geistigen Anforderungen nicht so gut standhalten kann, kann das unter Druck setzen und Stress verursachen. Wer sich leicht ernährt, hat abends außerdem eher Lust, sich zu bewegen. Damit baut man immer Stress ab und schützt sich.

Was können Arbeitgeber tun, was sollten sie vermeiden?

Dr. Thomas Kirchmeier: Arbeitgeber sollten nicht zu viel unmittelbare Kontrolle und Druck ausüben, indem sie etwa sehr strikte Vorgaben machen. Ein gewisser Gestaltungsspielraum ist meistens leistungsfördernd und kann vor einem Burnout schützen. Sehr wichtig ist, dass Arbeitgeber Gemeinschaft unter den Mitarbeitern fördern, dass sie ihnen etwa die Möglichkeit geben, am Arbeitsplatz zwischendurch gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Wer sich austauscht, mit anderen verbunden fühlt, kann oft wesentlich besser mit Stress umgehen. Kritisch wird es, wenn man unter Druck steht und das Gefühl hat, isoliert einer Belastung ausgesetzt zu sein.

Betriebliches Gesundheitsmanagement wie Sportgruppen oder Entspannungstraining ist ein weiterer wichtiger Punkt. Denn das spricht vor allem Menschen an, die sich schwertun, in der Freizeit aktiv zu werden.

Mehr Informationen

www.hoehenklinik-bischofsgruen.de
Die Höhenklinik Bischofsgrün liegt im Naturpark Fichtelgebirge etwa 30 Kilometer von Bayreuth entfernt

Autor

Daniel Seehuber