Altersvorsorge / 12.01.2015

Für wen gilt der Mindestlohn?

Seit diesem Jahr gilt der Mindestlohn. Mindestens 8,50 Euro die Stunde soll ab sofort jeder Arbeitnehmer bekommen. Aber wirklich jeder? Ein Faktencheck.

Mann telefoniert mit Headset – Bildnachweis: wdv © Lauer, Jan

Vom Mindestlohn sollen rund 3,7 Millionen Beschäftigte, die bislang noch im Niedriglohnsektor gearbeitet haben, profitieren. Sie sollen jetzt mindestens 8,50 Euro pro Stunde verdienen, ab 1. Januar 2017 dann 8,84 Euro. Das gilt für deutsche wie ausländische Arbeitnehmer in Deutschland – beispielweise auch für LKW-Fahrer ausländischer Spediteure, die auf ihrer Route durch Europa auch über Deutschlands Straßen fahren.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht davon aus, dass sich die Zahl der Aufstocker, die bisher nicht von ihrem Lohn leben konnten und auf zusätzliche Leistungen vom Staat angewiesen waren, um 60.000 verringern wird. Das werde zu Einsparungen von 700 bis 900 Millionen Euro führen, sagte BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt kürzlich der „Süddeutschen Zeitung“.

Doch der Mindestlohn gilt nicht für alle Arbeiternehmer. Es gibt Ausnahmen:

Langzeitarbeitslose:

Wer länger als ein Jahr arbeitslos war, muss in den ersten sechs Monaten der neuen Tätigkeit nicht unbedingt Mindestlohn bekommen. Die Arbeitgeber können davon abweichen. Damit soll Langzeitarbeitslosen der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden. Mitte 2016 will die Bundesregierung Bilanz ziehen und die Regelung bei Bedarf ändern. Kritiker stellen die Ausnahme für Arbeitslose schon heute die Frage: Arbeitnehmer seien nicht verpflichtet, ihren Arbeitgeber über ihren Status zu informieren.

Saisonarbeiter:

Zwar gilt auch für Saisonarbeiter der Mindestlohn seit 1. Januar 2015, aber es gibt Möglichkeiten, wie Arbeitgeber günstiger fahren. Zum einen können Kost und Logis auf den Mindestlohn angerechnet werden. Zum anderen können Saisonarbeiter künftig länger als „Kurzfristig Beschäftigte“ gelten – und sind damit von der Sozialversicherungspflicht befreit. War die „Kurzfristige Beschäftigung“ bisher auf 50 Tage begrenzt, ist sie jetzt auf 70 Tage ausgeweitet. Nach vier Jahren gilt wieder eine Begrenzung auf 50 Tage.

Jugendliche unter 18 Jahren:

Jugendliche unter 18 Jahren und ohne abgeschlossene Berufsausbildung haben keinen Anspruch auf Mindestlohn. Damit will man verhindern, dass Jugendliche eine vielleicht besser bezahlte Hilfstätigkeit einer Ausbildung vorziehen. Azubis bekommen unter Umständen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Die Ausbildungsvergütung ist weiterhin durch das Berufsbildungsgesetz oder – je nach Branche – durch den Tarifvertrag geregelt.

Praktikanten:

Bei Praktika gibt es Unterschiede. Wer als Schüler, Student oder Azubi ein Pflichtpraktikum macht, das in der Studienordnung oder für die Ausbildung vorgeschrieben ist, bekommt dafür keinen Mindestlohn. Gleiches gilt für Praktika im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung vom Jobcenter oder Maßnahmen der Berufsbildungsvorbereitung. Bei freiwilligen Praktika entscheidet die Länge: Für ein Praktikum, das weniger als drei Monate dauert, gibt es keinen Mindestlohn. Für ein Praktikum ab drei Monaten Länge müssen Arbeitgeber vom ersten Tag an Mindestlohn zahlen. Diese müssen der Berufsorientierung dienen.

Das dürfte Auswirkungen auf die Anzahl der Praktikumsplätze – vor allem für Studenten und Hochschulabsolventen haben: Nach einer Studie, die die Hochschule für Wirtschaft und Recht 2011 für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt hat, machen knapp 20 Prozent der Hochschulabsolventen nach dem Studium ein Praktikum, das durchschnittlich vier bis fünf Monate dauert. Dafür bekommen 40 Prozent von ihnen kein Geld, der Rest verdient deutlich unter Mindestlohn-Niveau. Einige Branchen haben bereits angekündigt, die Zahl der Praktikumsplätze für Absolventen zu reduzieren – oder zumindest die Dauer des Praktikums auf drei Monate zu beschränken.

Studenten dürften deshalb doppelt vom Mindestlohn betroffen sein: Ein großer Teil von ihnen finanziert sich sein Studium über Nebenjobs im Einkommensbereich zwischen 450 und 850 Euro, weil Arbeitgeber für sie nicht den vollen Beitrag zur Sozialversicherung zahlen müssen (Gleitzonenregelung).  Künftig unterliegen diese Nebenjobs ebenfalls dem Mindestlohngesetz. Gerade das Gaststättengewerbe beklagt, dass durch das Mindestlohngesetz Jobs wegfallen könnten.

Minijobber:

Minijobber haben zwar auch Anspruch auf Mindestlohn, allerdings hat das Auswirkungen auf ihre monatliche Arbeitszeit: Sie können künftig maximal 52 Stunden im Monat arbeiten, sonst übersteigt ihr Einkommen die 450 Euro und sie verlieren ihren Minijobber-Status. Dann sind sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Für Beschäftigte in der Gleitzone zwischen 450,01 und 850 Euro Einkommen gilt allerdings ein verringerter Beitragssatz für die Sozialversicherung.

Zeitungszusteller:

Zeitungszusteller sind auf Druck der Zeitungsbranche zunächst vom Mindestlohn ausgenommen. Sie sollen vorerst 75 Prozent des Mindestlohns erhalten, ab 1. Januar 2016 dann mindestens 85 Prozent. Ab 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 sind es dann 8,50 Euro, ab dem 1. Januar 2018 bekommen sie den dann von der Mindestlohnkommission beschlossenen Mindestlohn ohne Einschränkung.

Ehrenamtler:

Wer ehrenamtlich arbeitet, hat keinen Anspruch auf Mindestlohn. Es handle sich bei dieser Tätigkeit nicht um Arbeit im Sinne des Gesetzes, heißt es vom Bundesarbeitsministerium.

Andere Branchen, Leiharbeiter und Selbstständige:

Die Bundesregierung kommt den Branchen entgegen, die bisher deutlich unter 8,50 Euro Stundenlohn gezahlt haben. Für sie gibt es eine Übergangszeit bis Ende 2017, in der Abweichungen nach unten erlaubt sind. Bis Ende 2017 dürfen auch Tarifverträge geschlossen werden, die unter dem Mindestlohn liegen.

Die Ausnahmen gelten laut Bundesarbeitsministerium nur, wenn es „einen allgemein verbindlichen Branchenmindestlohn nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz“ gibt. Welche Branchen das derzeit sind, hast das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf der Internetseite www.der-mindestlohn-gilt.de aufgelistet.

Ausgenommen vom Mindestlohn sind außerdem Heimarbeiterinnen oder Heimarbeiter nach dem Heimarbeitsgesetz und Selbstständige.

Dokumentation und Kontrolle:

Unternehmen müssen die geleisteten Arbeitsstunden ihrer Mitarbeiter künftig exakt erfassen, um belegen zu können, dass der Mindestlohn bezahlt wird. Das gilt vor allem für Minijobber – außer in Privathaushalten – und für bestimmte Branchen, die besonders anfällig für Schwarzarbeit sind. Sie müssen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit schriftlich festhalten. Dazu zählen unter anderem  das  Baugewerbe, Gaststätten und Herbergen, Speditions-, Transport und Logistikbereich, Unternehmen der Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, Messebau und Fleischwirtschaft. Auch Zeitungszusteller und Beschäftigte bei Paketdiensten müssen regelmäßig ihre Arbeitszeit aufzeichnen. Die Aufzeichnungen müssen zwei Jahre aufbewahrt und bei einer Prüfung dem Zoll vorgelegt werden.

Unternehmerverbände und beispielsweise Landwirtschaftsverbände kritisieren das: Der Aufwand sei zu hoch, die genaue Dokumentation in einigen Bereichen in der vorgeschriebenen Form nicht möglich.

Der Zoll, genauer: der Arbeitsbereich Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Hauptzollämter, kontrolliert, ob sich Unternehmen an das Mindestlohngesetz halten. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro rechnen.

Wenn der Mindestlohn nicht gezahlt wird:

Weigert sich ein Arbeitgeber, den Mindestlohn zu zahlen, bleibt den Betroffenen nur der Gang zum Arbeitsgericht. Dabei gewähren die Gewerkschaften ihren Mitgliedern Rechtschutz, sofern sie mindestens drei Monate Mitglied sind. Wer den Mindestlohn nicht erhält, kann das der zuständigen Stelle mitteilen – auch anonym.

Weitere Informationen:

  • www.der-mindestlohn-gilt.de
    Fragen und Antworten zum Mindestlohn auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
  • www.der-mindestlohn-gilt.de
    Mit dem Mindestlohnrechner können Beschäftigte ausrechnen, ob ihr Gehalt dem Mindestlohn entspricht
  • www.zoll.de
    Internetseite des Zolls mit Ansprechpartnern zum Thema illegale Beschäftigung
  • Eine Mindestlohn-Hotline der Regierung ist von Montag bis Donnerstag von 8 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 030/60 28 00 28 erreichbar.
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Autor

Katja Mathes