
Millionen Arbeitnehmer leisten etwa in Krankenhäusern, als Pflegekräfte, bei der Feuerwehr oder im technischen Service Bereitschaftsdienste oder haben Rufbereitschaften. Dabei wird immer wieder über die Frage gestritten: Was gilt denn eigentlich genau als Arbeitszeit? Im Interesse der Arbeitnehmer soll möglichst viel als Arbeitszeit gelten, im Interesse der Arbeitgeber möglichst wenig. Und natürlich geht es dabei auch um die Entlohnung.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat hierzu ein für Arbeitnehmer günstiges Urteil gefällt: Wenn ein Arbeitnehmer sich zwar zu Hause aufhalten darf, aber innerhalb kürzester Zeit einem Ruf seines Arbeitgebers zum Einsatz Folge leisten muss, dann zählt das als Arbeitszeit (Aktenzeichen: C-518/15). Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Gehalt, sondern auch hinsichtlich der erlaubten Höchstarbeitszeit.
Die zeitlichen Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zur maximalen Arbeitszeit und zu Ruhenszeiten müssen eingehalten werden. Dabei wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes voll wie eine normale Arbeitszeit eingerechnet.
Über welchen Fall hat der EuGH entschieden?
Ein Feuerwehrmann aus Nivelles in Belgien musste – genau wie seine Kollegen – bei einem Alarmfall innerhalb von acht Minuten die Feuerwehrkaserne erreichen können. Der Arbeitsvertrag erhielt konkrete Regelungen über die Pflichten des Beschäftigten in der Zeit seiner „Rufbereitschaft“ – so wird es im Vertrag genannt, man könnte nach der deutschen Sprachregelung wohl besser von „Bereitschaftsdienst“ sprechen.
Konkret war geregelt, dass der Feuerwehrmann „seinen Wohnsitz oder seinen Aufenthalt an einem Ort haben (muss), von dem aus die Kaserne von Nivelles bei normalem Verkehrsfluss und unter Einhaltung der Straßenverkehrsordnung in höchstens acht Minuten erreicht werden kann“.
Weiter hieß es dort, dass der Beschäftigte sich in der Zeit der Rufbereitschaft „jederzeit in einer Entfernung von der Feuerwehrkaserne aufhalten (muss), die es ihm erlaubt, sie bei normalem Verkehrsfluss in höchstens acht Minuten zu erreichen“.
Was galt bisher für Bereitschaftsdienste?
Ein Bereitschaftsdienst gilt in Deutschland spätestens seit 2004 als Arbeitszeit. Das wurde so im Gesetz zur Reform am Arbeitsmarkt geregelt, das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist. Bis dahin galt in Deutschland als Arbeitszeit nur die tatsächliche Inanspruchnahme zur Arbeit während des Bereitschaftsdienstes.
Bei einem Arzt zählte also beispielsweise nicht die ganze Nacht, die er auf Abruf in der Klinik verbrachte, als Arbeitszeit, sondern nur die Zeit, in der er beispielsweise eine Operation vorbereitete und durchführte.
Seit 2004 gilt die ganze Zeit, in der er sich entsprechend seiner vertraglichen Verpflichtung auf Abruf in der Klinik aufhält, als Arbeitszeit.
Was ist das Neue am Urteil des EuGH?
Der EuGH hat nun klargestellt, dass eine Zeit, in der ein Arbeitnehmer auf Abruf bereitstehen muss, auch dann als Arbeitszeit gelten kann, wenn er sich außerhalb des Betriebs aufhält. Ein ähnliches Urteil hatte auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 20. September 2012 gefällt: Es stufte die Zeit der so genannten Rufbereitschaft eines Arztes als Bereitschaftsdienst und damit als Arbeitszeit ein, der seinen Aufenthalt außerhalb der Klinik so organisieren musste, dass er bei spätestens innerhalb von 15 bis 20 Minuten in der Klinik sein konnte (Aktenzeichen: 11 Sa 81/12).
Der Arzt könne sich dann zwar in der Zeit, in der er auf Abruf bereitstehe, um familiäre Angelegenheiten kümmern, ihm sei jedoch aufgrund der engen zeitlichen Vorgabe die Möglichkeit genommen, „sich während der Dienste frei zu bewegen und sich auch anderen privaten Interessen und Hobbys zu widmen“.
Der Europäische Gerichtshof argumentierte in seinem jüngsten „Feuerwehrmann-Urteil“ genauso. Die enge zeitliche Vorgabe schränke die Möglichkeit ein „sich eigenen Tätigkeiten zu widmen“. Dass sich der Feuerwehrmann zu Hause (und nicht im Betrieb) aufhalten konnte, hielt das Gericht für unerheblich.
Wo liegt denn die „zeitliche Trennlinie“ zwischen einer Rufbereitschaft und einem Bereitschaftsdienst?
Von einer Bereitschaftszeit spricht man, wenn Arbeitnehmer innerhalb sehr kurzer Zeit am Arbeitsort einsatzbereit sein müssen. Bei einer Rufbereitschaft muss ein Arbeitnehmer lediglich ständig für den Arbeitgeber erreichbar sein, um auf Abruf im Bedarfsfall in absehbarer Zeit die Arbeit aufnehmen zu können. Gesetzlich gibt es da aber keine genaue Trennlinie. Es sind keine genauen Zeiten festgelegt, in denen Arbeitnehmer bei Bereitschaftsdiensten oder Rufbereitschaften einsatzbereit am Arbeitsplatz sein müssen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat allerdings am 22. Januar 2004 (Aktenzeichen: 6 AZR 643/02) entschieden, dass eine vom Arbeitgeber festgelegte einzuhaltende Zeitvorgabe für das Eintreffen am Einsatzort von 45 Minuten (noch) nicht dazu führt, dass aus einer Rufbereitschaft ein Bereitschaftsdienst wird. Bei einer solchen Regelung gelte die Zeit, in der ein Arbeitnehmer auf Abruf zur Arbeit bereitsteht, noch nicht als Arbeitszeit.
„Rufbereitschaft“ oder „Bereitschaftsdienst“ – spielt die Bezeichnung eine Rolle?
Nein. Entscheidend ist, wie sehr ein Arbeitnehmer in der freien Verfügung über seine Zeit eingeschränkt ist. Bei engen zeitlichen Vorgaben ist die Bezeichnung „Rufbereitschaft“ allerdings irreführend. Hier sollte man von Arbeitsbereitschaft bzw. Bereitschaftsdienst sprechen.
Muss die Bereitschaftszeit bezahlt werden?
Ja. Dabei kann es dann im Einzelfall um beträchtliche Summen gehen. Dem Arzt, über dessen Klage das Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz entschieden hat (siehe oben), brachte die Einordnung der Zeit, in der er auf Abruf in kurzer Zeit zur Arbeit bereitstand, als Arbeitszeit immerhin einen Zahlungsanspruch in Höhe von rund 100.000 Euro. Normalerweise wird natürlich um deutlich geringere Summen gestritten.
Wie wird die Bereitschaftszeit entlohnt?
Dazu finden sich Bestimmungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und gegebenenfalls auch in einzelnen Arbeitsverträgen. Geregelt ist dabei vielfach, dass die Bereitschaftszeit geringer zu entlohnen ist als die sonstige Arbeitszeit.
Zum Teil wird dabei von einem „üblichen“ Heranziehungsanteil zur Arbeit ausgegangen. Nimmt man an, dass Arbeitnehmer im Schnitt in der Hälfte der Bereitschaftszeit zur Arbeit herangezogen werden, so besteht in der Bereitschaftszeit beispielsweise ein Anspruch auf 50 Prozent der normalen Stundenvergütung.
In einem Urteil vom 29. Juni 2016 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass das Mindestlohngesetz auch für Bereitschaftszeiten gilt (Aktenzeichen 5 AZR 716/15). Das bedeutet allerdings nicht, dass für die Bereitschaftszeit zusätzlich der Mindestlohn zu zahlen ist.
Nur eine Unterschreitung des Mindestlohnes für die gesamte Arbeitszeit – also die „normale“ Arbeitszeit plus Bereitschaftszeit – ist rechtswidrig.
Und wie ist die Bezahlung von Rufbereitschaft?
Da Arbeitnehmer hier weniger stark belastet werden als im Bereitschaftsdienst, ist die Entlohnung geringer. Üblich ist die Zahlung von Pauschalen.
Sobald ein Arbeitnehmer allerdings zur Arbeit abberufen wird, beginnt die normale Arbeitszeit – und damit auch die normale Entlohnung einschließlich Zuschlägen für Überstunden und gegebenenfalls auch für Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit. Auch die Fahrtzeit zum Betrieb zählt schon zur Arbeitszeit.
Was gilt, wenn Betriebe sich nicht an diese Regeln halten?
Dann ist es Sache der Beschäftigten (und gegebenenfalls des Betriebs- oder Personalrat), ihre Ansprüche anzumelden. Möglicherweise wird man dafür vors Arbeitsgericht ziehen müssen.
Weitere Informationen
curia.europa.eu
Pressemitteilung des EuGH zum Bereitschaftsdienst (PDF-Download)