
Dürfen Arbeitgeber ihren Angestellten nachspionieren, wenn sie vermuten, dass diese mit einem „gelben Schein“ blaumachen? Im Prinzip nein. Doch wenn es „echte“ Verdachtsmomente gibt, sieht die Sache anders aus. So lässt sich die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu Ermittlungen im Auftrag von Arbeitgebern zusammenfassen. Zu ergänzen ist noch: Im Extremfall müssen Arbeitnehmer sogar für die Kosten aufkommen, die beim Einschalten privater Detekteien anfallen. Umgekehrt können sie jedoch auch Schmerzensgeld einfordern, wenn die „Spionage“ unrechtmäßig war.
„Detektive Kocks – Ihre diskreten Beweisermittler“: So lautet der Slogan der Düsseldorfer Detektiv-Instituts Kocks GmbH. Er zielt nicht etwa auf das Aufspüren von „Seitensprüngen“, die Firma wendet sich vielmehr an Arbeitgeber. Angeboten wird unter anderem, vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit aufzudecken. „Wir entlarven Lügner. Seit 1955“, wirbt das Institut. Auf seiner Internetseite verweist das Unternehmen unter anderem auf ein Bundesarbeitsgerichtsurteil vom 19. Februar 2015. Danach habe das oberste deutsche Arbeitsgericht „Detektiv-Überwachung auch bei unklarer Krankmeldung“ erlaubt.
Aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Zur Überwachung von Arbeitnehmern außerhalb des Betriebs – insbesondere von arbeitsunfähig geschriebenen Arbeitnehmern – gibt es bereits seit Jahrzehnten zahlreiche Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG). „Nein, aber“ – so lässt sich die Rechtsprechung des BAG zur Observierung zusammenfassen – oder auch, wenn man es anders gewichtet: „Ja, aber“.
Im jüngsten Fall, über den in Kassel am 19. Februar 2015 entschieden wurde, ging es um eine Assistentin der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens. Sie hatte Ende 2011/Anfang 2012 nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Dabei hatte sie ihrem Arbeitgeber auch telefonisch die Diagnosen ihrer Ärzte mitgeteilt – wozu sie nicht verpflichtet war und was in der Regel auch nicht ratsam ist. Zunächst ging es um eine Bronchitis, danach um einen Bandscheibenvorfall. Die Firma traute den gelben Scheinen jedoch nicht - auch weil es zuvor am Arbeitsplatz zu Unstimmigkeiten gekommen war. Sie schaltete deshalb einen Privatdetektiv ein. Dieser machte heimlich Foto- und Videoaufnahmen von der Assistentin während ihrer Krankheitszeit. Sie zeigen sie vor ihrem Wohnhaus, bei einem Spaziergang mit ihrem Ehemann und ihrem Hund sowie im Waschsalon.
Das BAG befand (Aktenzeichen: 8 AZR 1007/13): Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen sei rechtswidrig gewesen. Der Arbeitgeber habe keinen berechtigten Anlass zur Überwachung gehabt. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Die Videos und Fotos würden den Verdacht einer vorgetäuschten Krankheit auch nicht belegen. Ein Bandscheibenvorfall hindere niemanden daran, mit seinem Hund auf die Straße zu gehen, hatten bereits die Vorinstanzen befunden.
Schmerzensgeld möglich
Zudem musste der Arbeitgeber seiner – ehemaligen – Beschäftigten für die erlittenen psychischen Belastungen ein Schmerzensgeld von 1.000 Euro zahlen. Die Höhe hatte bereits die Vorinstanz – das Landesarbeitsgericht Hamm – festgelegt. Das BAG befand, dass diese Entscheidung nicht zu korrigieren sei. Entsprechend hätte das Gericht jedoch wohl auch entschieden, wenn das Landesarbeitsgericht Hamm eine noch höhere Summe für angemessen befunden hätte. Die 1.000 Euro sind damit wohl keine „Hausnummer“ für künftige Verfahren.
Bei begründetem Verdacht: Überwachung kann rechtmäßig sein
Das BAG hält allerdings das Einschalten einer Detektei durch den Arbeitgeber nur dann für rechtswidrig, „wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht“. Danach wäre die skizzierte Überwachung erlaubt gewesen, wenn es hierfür einen berechtigten Grund gegeben hätte. In solchen Fällen kann der Arbeitgeber unter Umständen auch verlangen, dass „erwischte“ Arbeitnehmer die Kosten des privaten Ermittlers übernehmen. Der Kostenaufwand darf dabei allerdings nicht überzogen sein. Und vor allem: Der Arbeitgeber muss allerdings zunächst andere Möglichkeiten ausschöpfen – wenn sie denn zur Verfügung stehen. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn es sich um den Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit handelt.
Bei Zweifeln: erst den Medizinischen Dienst einschalten
Wenn Arbeitgeber den Verdacht haben, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit vortäuschen, brauchen sie allerdings keineswegs einen Detektiv einzuschalten. Es gibt deutlich einfachere Mittel: Nach Paragraf 275 Sozialgesetzbuch V können sie bei entsprechenden Zweifeln verlangen, „dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt“.
Dieses Begutachtungsverfahren stelle – so das BAG in einer Entscheidung vom 28. Mai 2009 (Aktenzeichen: 8 AZR 226/08) – „einen einfacheren, kostengünstigeren und jedenfalls kompetenteren Weg zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zur Verfügung als die kostenintensive und im Ergebnis in solchen Fragen stets interpretationsbedürftige Beauftragung einer Detektei“. Und das Gericht schließt daraus: „Von dieser Möglichkeit der Begutachtung hätte ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber Gebrauch gemacht, wenn es um die Abwehr geltend gemachter Lohnfortzahlungsansprüche gegangen wäre.“
Mit anderen Worten: Hat ein Arbeitgeber auf die Einschaltung des Medizinischen Dienstes verzichtet, so ist es höchst zweifelhaft, ob er überhaupt verlangen kann, dass „erwischte“ Arbeitnehmer ihm Ermittlungskosten erstatten.
Betriebsvereinbarungen möglich
Wie bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu verfahren ist, darüber können im Übrigen Betriebsräte mit ihren Arbeitgebern auch Betriebsvereinbarungen abschließen. Darin kann beispielsweise festgeschrieben werden, dass ein Einsatz von Detekteien zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen ist. Erzwingen kann ein Betriebsrat eine solche Vereinbarung allerdings nicht. Denn ein generelles Mitbestimmungsrecht der Interessenvertretung beim Einschalten von Detekteien für Ermittlungen außerhalb des Betriebs gibt es nicht, befand das BAG bereits in einer umstrittenen Entscheidung vom 26. März 1991 (Aktenzeichen: 1 ABR 26/90).
Hier hatte der Betriebsrat einer TÜV-Gesellschaft die Auffassung vertreten, „dass Detektive zur Überwachung von Arbeitnehmern nur mit seiner vorherigen Zustimmung eingesetzt werden“ könnten. Dies lehnte der Arbeitgeber ab und erklärte sich lediglich bereit, den Vorsitzenden des jeweiligen örtlichen Betriebsrates zu informieren. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde war nach Ansicht des BAG nicht begründet.