
Herr Ebsen, was verbirgt sich hinter dem Kürzel „WeGebAU“?

Paul Ebsen: Zunächst könnte man vielleicht an ein öffentliches Programm für Straßenbau denken. Doch die Abkürzung steht für "Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen". Das Besondere an dieser Weiterbildungsinitiative: Es geht nicht um die Qualifizierung von Arbeitslosen. Das Programm richtet sich vielmehr an Beschäftigte.
Was gibt es dabei in diesem Jahr neues?
Paul Ebsen: Zweierlei. Zum einen wird die Förderung in diesem Jahr massiv ausgedehnt. Für das Programm stehen in diesem Jahr 640 Millionen Euro zur Verfügung. 2016 waren es nur 280 Millionen.
Und zweitens?
Paul Ebsen: Seit Anfang 2017 gibt es Sonderkonditionen für Arbeitnehmer aus Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten. Die berufliche Weiterbildung der Beschäftigten kann nun zu 100 Prozent von der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden. Das gilt für Beschäftigte jeden Alters. Die Schulung kann innerhalb oder außerhalb der regulären Arbeitszeit stattfinden. Werden Beschäftigte dafür ganz oder teilweise freigestellt, braucht der Arbeitgeber für die wegfallende Arbeitszeit keinen Lohn zu zahlen. Die Arbeitsagentur sorgt dann für einen vollen Lohnausgleich. Diese Neuregelung findet sich übrigens im Flexirentengesetz, das in weiten Teilen zum 1.1.2017 in Kraft getreten ist.
Welche Ausbildungen können hier beispielsweise gefördert werden?
Paul Ebsen: Nehmen wir einen Technischen Zeichner, der in einem kleinen Ingenieurbüro arbeitet. An seinem Arbeitsplatz benötigt er Kenntnisse in CAD. Für ihn kommt beispielsweise eine Weiterbildung in rechnerunterstütztem Zeichnen, Entwerfen und Konstruieren in Frage.
Ein anderes Beispiel: Sprechstundenhilfen, die mit dem Computer nicht besonders vertraut sind, könnten etwa eine Ausbildung in Praxissoftware absolvieren.
Arztpraxen nagen ja meist nicht am Hungertuch. Könnte ein Arzt eine solche Ausbildung nicht selbst finanzieren?
Paul Ebsen: Wir fragen bei der Agentur für Arbeit nicht nach der finanziellen Situation der Betriebe, in denen die Weiterbildungsinteressenten beschäftigt sind. Aus Kapazitäts- und Kostengründen wird in vielen Kleinstbetrieben wenig in die Weiterbildung der Beschäftigten investiert. Das schafft für die Betroffenen enorme Beschäftigungsrisiken. Uns geht es darum, durch gezielte Weiterbildung den Arbeitsplatz der Beschäftigten sicherer zu machen. Es soll eben verhindert werden, dass eine Sprechstundenhilfe, die bei der Praxissoftware Defizite hat, entlassen wird. Sie würde sich dann nämlich auch schwer tun, einen neuen Job zu finden.
Besteht ein Rechtsanspruch auf die Weiterbildungsförderung in den genannten Fällen?
Paul Ebsen: Nein, bei der Weiterbildungsförderung handelt es sich immer um Ermessensleistungen der Arbeitsagenturen. Sie müssen also zum Beispiel prüfen, ob eine beantragte Aus- oder Weiterbildung arbeitsmarktlich sinnvoll ist. Aber in den genannten Fällen ist dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit so.
Müssen sich die Unternehmen verpflichten, die weitergebildeten Arbeitnehmer für eine bestimmte Dauer weiter zu beschäftigen?
Paul Ebsen: Nein, nur für die Zeit, in der die Weiterbildung stattfindet. Doch selbst wenn die Betroffenen später ihre Arbeit verlieren würden, hätten sie – und auch die Beitragszahler – durch die Weiterbildung Vorteile. Ihre Arbeitsmarktchancen wären nämlich dann deutlich besser.
Kann die Weiterbildung von Beschäftigten auch gefördert werden, wenn Betriebe mehr als zehn Beschäftigte haben?
Paul Ebsen: Ja. Auch das ist im dritten Sozialgesetzbuch geregelt. Da gibt es zum einen eine Förderungsmöglichkeit für Arbeitnehmer ab 45 Jahren, die in Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten tätig sind. Diese Fördermöglichkeit besteht grundsätzlich für alle Arbeitnehmer, die diese Voraussetzung erfüllen – auch für qualifizierte Kräfte, beispielsweise für den bereits erwähnten Technischen Zeichner, der zusätzliche CAD-Kenntnisse erwerben will, aber in einem Betrieb mit mehr als zehn Beschäftigten arbeitet. In diesen Fällen können 75 Prozent der Lehrgangskosten erstattet werden.
Das WeGebAU-Programm richtet sich auch an Geringqualifizierte. Was gilt da?
Paul Ebsen: Beschäftigte ohne Berufsausbildung können beim Nachholen von Qualifikationen generell gefördert werden. Die Unternehmensgröße spielt dabei keine Rolle. Das gilt auch für Arbeitnehmer, die längere Zeit – mehr als vier Jahre – nicht mehr in ihrem Beruf tätig waren. Bei der Berechnung dieser vier Jahre werden nun auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, Kindererziehung oder Angehörigenpflege mitgezählt. Für die Betroffenen können die vollen Lehrgangskosten übernommen werden. Wenn der Arbeitgeber sie unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freistellt, kann der Arbeitgeber von der örtlichen Arbeitsagentur einen Zuschuss zu Arbeitsentgelt und Sozialversicherungsbeiträgen erhalten.
Für wen kommt die Förderung zum Beispiel in Frage?
Paul Ebsen: Etwa für Bäcker oder Friseure, die berufsfremd arbeiten. Nehmen wir als Beispiel einen 42-Jährigen, der ursprünglich Bäcker gelernt hat. In diesem Job sah er aber keine Perspektive. Deshalb ging er in einen großen Chemiebetrieb. Dort arbeitet er schon seit 15 Jahren, übt faktisch einen Chemikantenjob aus – allerdings ohne diesen Beruf erlernt zu haben.
Das ist ja kein Problem, solange im Betrieb alles gut läuft...
Paul Ebsen: Aber irgendwann kommt die nächste Krise. Dann verliert er möglicherweise seinen Job. Und nach unseren Erfahrungen dürfte er es ohne formalen Abschluss als Chemikant schwer haben, woanders eine Arbeit in seinem jetzt ausgeübten Beruf zu finden. In Deutschland wird nun einmal auf die formale Qualifikation sehr viel Wert gelegt. Deshalb hat der ehemalige Bäcker auch in der Chemie ohne eine branchengerechte Berufsausbildung nur schlechte Aufstiegschancen.
Und da hilft WeGebAU?
Paul Ebsen: Genau. Die örtliche Arbeitsagentur kann ihm eine Ausbildung zum Chemikanten finanzieren, da er alle Voraussetzungen für die Förderung erfüllt. Verlangt wird, dass das Arbeitsverhältnis während der Ausbildung weiterbesteht, der Arbeitgeber ihm weiter Lohn zahlt, es sich um eine anerkannte Aus- oder Weiterbildung handelt und diese nicht auf den Betrieb zugeschnitten ist, sondern Qualifikationen für den allgemeinen Arbeitsmarkt bietet. Die Ausbildung kann übrigens auch abends oder in Teilzeit erfolgen. In der Regel findet sie aber in Vollzeit statt.
Was raten Sie Arbeitnehmern, die an einer der genannten Fördermöglichkeiten interessiert sind?
Paul Ebsen: Sie sollten bei der örtlichen Arbeitsagentur vorsprechen und erklären, dass Sie sich über Weiterbildungsmöglichkeiten informieren wollen. Dann erhalten Sie einen Beratungstermin. Bei der Beratung kann dann gegebenenfalls schon ein Bildungsgutschein ausgestellt werden. Und man kann besprechen, wie der Arbeitgeber mit ins Boot geholt werden kann.
Weitere Infos
- www.bundesagentur.de
Informationen zum Programm WeGebAU auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit