Gesundheit / 17.05.2021

Private Unfallversicherung – wer braucht sie?

Die meisten Menschen in Deutschland sind gesetzlich unfallversichert. Eine zusätzliche private Unfallversicherung kann trotzdem sinnvoll sein. Was Sie dabei beachten sollten.

Junger Mann im Rollstuhl. Bild: IMAGO / Westend61

Junger Mann im Rollstuhl. Bild: IMAGO / Westend61

Inhalt

Wann lohnt eine private Unfallversicherung?

In Deutschland ist jeder, der in einem Arbeits-, Ausbildungs- oder Dienstverhältnis steht, automatisch in der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) versichert. Die DGUV bietet sogar recht umfangreiche Leistungen. Aber: Sie deckt nur Unfälle ab, die im Arbeitsumfeld beziehungsweise auf dem Weg dorthin und nach Hause passieren. Bei Kindern und Jugendlichen gilt das entsprechend für den Weg zur Schule oder Ausbildungsstätte.

Bei Unfällen im privaten Umfeld dagegen leistet die gesetzliche Unfallversicherung nicht. Hier kann die private Versicherung einspringen. Die private Versicherung leistet aber zusätzlich zur gesetzlichen Unfallversicherung auch dann, wenn Sie im Job unfallbedingt invalide werden.

Sinnvoll ist eine private Unfallversicherung immer dann, wenn sie bei schweren Unfallfolgen eine hohe Summe einmalig leistet. Denn bei Unfällen und Unfallfolgen mit einem hohen Grad der Invalidität wird das gesamte Leben auf den Kopf gestellt. So können zum Beispiel aufwändige Umbauten in der Wohnung nötig werden. Diesen Mehrbedarf können Unfallversicherungen mit einer Einmalzahlung sehr gut absichern.

Was die gesetzliche Unfallversicherung leistet

Die gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) zahlt für Arbeitsunfälle und so genannte Wegeunfälle, also Unfälle auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz:

  • bis zu 78 Wochen Verletztengeld in Höhe von 80 Prozent des Bruttoverdienstes,
  • eine Unfallrente in Höhe von bis zu zwei Drittel Ihres bisherigen, Bruttoentgelts, wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt
  • im Todesfall eine Hinterbliebenenrente und ein Sterbegeld. Kinder unter 18 Jahren erhalten eine Waisenrente.

Daneben übernimmt die Unfallversicherung auch die Kosten für eine Reha.


Wann zahlt die private Unfallversicherung?

Eine Unfallversicherung zahlt nur bei Invalidität, also wenn ein dauerhafter Schaden entstanden ist, der voraussichtlich für länger als drei Jahre bestehen wird ohne Aussicht auf Besserung. Die Invalidität wird durch einen Arzt gutachterlich bestätigt.

Sie haben in der Regel 15 bis 18 Monate Zeit, um Ihre Ansprüche geltend zu machen. Die genaue Frist ist im Vertrag festgelegt. Wird der Anspruch geltend gemacht und ein Grad der Invalidität bestätigt, erhalten Sie die vereinbarte Versicherungsleistung.

Nach den Bedingungen haben sowohl Sie als Versicherter wie auch der Versicherer innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall das Recht, die Invalidität neu bemessen zu lassen. In diesem Fall kann es für Sie zu einer Nachzahlung, aber auch zu einer Rückforderung des Versicherers kommen.

Welche Rolle spielen Versicherungssumme und Progression?

Die Leistung im Versicherungsfall bestimmt sich aus verschiedenen Kennzahlen. Zum einen ist es die Versicherungssumme, auch Grundsumme genannt. Zum anderen ist es die Progression, die darüber entscheidet, wie viel Geld Sie tatsächlich in Abhängigkeit zum festgestellten Grad der Invalidität erhalten.

Hierbei gilt die Regel: Je höher die Progression, desto steiler steigt die Leistung der Unfallversicherung bei steigender Invalidität an. So sieht das in der Praxis aus:

 

Grad der Invalidität   Ausgezahlter Teil der Versicherungssumme…  
… bei 225 % Progression … bei 350 % Progression … bei 500 % Progression
20 % 20 % 20 % 20 %
30 % 35 % 40 % 40 %
40 % 55 % 70 % 70 %
50 % 75 % 100 % 100 %
60 % 105 % 150 % 180 %
70 % 135 % 200 % 260 %
80 % 165 % 250 % 340 %
90 % 195 % 300 % 420 %
100 % 225 % 350 % 500 %

 Quelle: Bedingungen eines größeren Unfallversicherers am Markt

 

Bei 100 Prozent Invalidität macht es keinen Unterschied, ob Sie zum Beispiel eine Versicherungssumme mit 222.222 Euro zu 225 Prozent Progression oder 100.000 Euro zu 500 Prozent Progression gewählt haben. In beiden Fällen gäbe es 500.000 Euro Versicherungsleistung.

Bei 40 Prozent Invalidität sieht es anders aus: Es gäbe einmal 122.222 (222.222 Euro zu 55 Prozent) Euro und einmal lediglich 70.000 Euro (100.000 Euro zu 70 Prozent). Und auch bei 80 Prozent fahren Sie mit der höheren Versicherungssumme besser: Dort gäbe es rund 366.666 Euro, bei den 100.000 Euro Versicherungssumme wären es 340.000 Euro 100.00 Euro zu 340 Prozent).

Der Vergleich hinkt natürlich ein wenig, weil auch die Beiträge in den Vergleich einbezogen werden müssen: Die Variante mit den 222.222 Euro Versicherungssumme bei 225 Prozent Progression liegt bei einem Musterversicherer jährlich bei 230 Euro. 100.000 Euro Versicherungssumme mit 500 Prozent Progression kosten nur 121 Euro und damit gerade einmal die Hälfte.

Welche Kombination die richtige ist, kann daher nur eine individuelle Beratung zeigen. Grundsätzlich aber ist es wichtig, dass bei hohen Invaliditätsgraden eine hohe Leistung fließt – und das lässt sich mit einer höheren Progression erreichen.

Gliedertaxe ist entscheidend für Leistungshöhe

Eine wichtige Kennzahl in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Gliedertaxe. Mit ihr ermittelt der Versicherer den prozentualen Invaliditätsgrad bei den verschiedenen Unfallfolgen.

Hier unterscheiden sich die einzelnen Versicherer und Tarife erheblich. So kann der Verlust des unteren Ellenbogens eine Invalidität von 60 Prozent auslösen oder auch von 80 Prozent. Je nach Progression und Versicherungssumme kann das einen Unterschied von bis zu mehreren Hunderttausend Euro in der ausgezahlten Invaliditätssumme ausmachen. Das Geheimnis umfangreicher Absicherung liegt also vor allem in der Kombination aus einer hohen Progression in Verbindung mit einer exzellenten Gliedertaxe.

Gliedertaxe: Wie der Grad der Invalidität bestimmt wird

Unfallrente aus der privaten Unfallversicherung: sinnvoll?

Möglicherweise können Sie nach einem schweren Unfall nicht mehr in Ihren Job zurückkehren oder die Ausbildung beenden. Es kann daher sinnvoll sein, wenn Sie zusätzlich zur Einmalleistung eine Unfallrente vereinbaren. Eine Unfallrente können Sie in der Regel erhalten, wenn – und nur solange – ein Grad der Invalidität von 50 Prozent und mehr erreicht wird.

Achten Sie auch hier auf die Gliedertaxe. Der Verlust aller Finger einer Hand wird bei dem einen Versicherer mit einem Invaliditätsgrad von 45 Prozent bewertet, beim anderen sind es 70 Prozent. Im ersten Fall dürften Sie mit einer Unfallrente rechnen, im zweiten Fall aber nicht.

Unfallversicherung statt Berufsunfähigkeitsversicherung?

Eine Unfallrente aus einer Unfallversicherung kann nie eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ersetzen, sondern immer nur ergänzen. Die BU zahlt ebenfalls bei Unfallfolgen, die Unfallversicherung aber nie, wenn eine Erkrankung zu einer Berufsunfähigkeit führt.


Beitragsrückgewähr lohnt sich nicht

Manche Vermittler und Gesellschaften bieten Unfallversicherungen mit Beitragsrückgewähr an. Das Versprechen: Sie schließen eine Unfallversicherung ab und erhalten im Alter Ihre Beiträge ganz oder teilweise erstattet, falls Sie keine Leistungen in Anspruch nehmen.

Der Haken: Tatsächlich besparen Sie einen separaten Vertrag – und aus diesem Sparvertrag wird dann im Alter eine bestimmte Summe an Sie ausgeschüttet. Sie bekommen also keine Beiträge erstattet, sondern Ihr selbst angespartes Guthaben aus einem oft sehr teuren, intransparenten und schlecht verzinsten Sparvertrag. Fazit: Finger weg.

Aufpassen beim Kleingedruckten

Neben dem Zahlenwerk mit Versicherungssummen, Progressionen und Gliedertaxen bestimmen viele Einzelregelungen die Qualität des Schutzes. Denn Unfall ist nicht Unfall.

  • Bei guten Unfalltarife sind sogenannte Eigenbewegungen mitversichert. Das sind alle Beeinträchtigungen, die nicht von außen auf den Körper einwirken, sondern durch eine eigene Bewegung des Körpers. Dazu kann zum Beispiel ein Bänderriss beim Sport gehören.
  • Nahrungsmittelvergiftungen können ebenso als Unfallereignis anerkannt werden wie ein Unfall bei der Rettung von Menschenleben, etwa als Ersthelfer beim Verkehrsunfall. Und auch Impfschäden können als Unfallereignis versichert werden.
  • Auch Leistungsausschlüsse bestimmen die Qualität des Versicherungsschutzes. So sollten etwa Unfälle unter Einfluss von Alkohol auch bei höherer Promille-Zahl eingeschlossen sein.

Zusatzleistungen können wichtig sein

Wichtig ist für viele Verbraucher auch der Einschluss von Zusatzleistungen über die Invaliditätssumme und eine mögliche Unfallrente hinaus. So sehen leistungsstarke Tarife Extrazahlungen zum Beispiel bei Krebserkrankung oder Knochenbruch vor, dazu werden in aller Regel Kosten für unfallbedingte Aufwendungen getragen – etwa Bergungskosten, die Kosten für kosmetische Operationen nach einem Unfall oder eine Beihilfe zu unfallbedingten Kurkosten.

Nicht vom Familienrabatt locken lassen

Wer sich für eine Unfallversicherung für die ganze Familie beraten lässt, bekommt mitunter Nachlässe, wenn alle Familienmitglieder in einem Vertrag oder bei einem Anbieter versichert werden. Das sollte allerdings nie den Ausschlag für die Wahl eines Tarifes oder Versicherers geben. Wichtig ist, dass der Unfallschutz zu Ihrer Lebenssituation passt

Manchmal kann es sinnvoll sein, auf einen Tarif ohne Gesundheitsfragen auszuweichen, um die gewünschte Unfallversicherung überhaupt zu bekommen. In anderen Fällen bekommen Sie bei einer ganzen Versicherungsgesellschaft einen Vertrag, der bei der Bemessung der Invalidität Vorerkrankungen nicht mit einbezieht – dafür müssen Sie aber Gesundheitsfragen beantworten. Die Wahl der individuell passenden Unfallversicherung sollte deshalb nicht durch mögliche Rabatte entschieden werden.

Autorenbild

Autor

Oliver Mest