
Frankfurt (sth). Unter den gesetzlichen Renten gibt es einige, die in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind – zum Beispiel die Erziehungsrente oder die arbeitsmarktbedingte Erwerbsminderungsrente (EM-Rente). Letztere können Beschäftigte mit einer täglichen Arbeitsfähigkeit zwischen drei und weniger als sechs Stunden erhalten, die keinen für sie geeigneten Teilzeit-Arbeitsplatz finden. Ihr Vorteil: Statt einer eigentlich zustehenden teilweisen (halben) EM-Rente bekommen die Betroffenen eine volle EM-Rente. Im Jahr 2021 bekamen nach aktuellen Angaben der Deutschen Rentenversicherung etwa 21.500 Versicherte erstmals eine arbeitsmarktbedingte EM-Rente gezahlt – das waren 12,3 Prozent aller „Zugänge“ zu einer EM-Rente. Im Schnitt bekamen die Betroffenen monatlich rund 990 Euro ausgezahlt; das waren wegen der EM-Rentenreformen der vergangenen Jahre rund 250 Euro oder 33 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor.
Hintergrund der arbeitsmarktbedingten EM-Rente ist eine rechtliche Besonderheit im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Normalerweise hängt der Anspruch auf eine volle EM-Rente davon ab, ob bei einem Beschäftigten wegen Krankheit oder Behinderung eine tägliche Arbeitsfähigkeit von weniger als drei Stunden festgestellt wird. Dabei ist es unerheblich, ob der Arbeitnehmer nicht doch einen bezahlten Job für ein oder zwei Stunden am Tag finden könnte. In manchen Fällen gilt aber statt der „abstrakten Betrachtung“ des Arbeitsmarkts eine „konkrete Betrachtungsweise“: Dann kann aus einer medizinisch festgestellten teilweisen Erwerbsminderung de facto eine volle Erwerbsminderung werden. Voraussetzung: Der allgemeine Arbeitsmarkt ist für die betroffenen Beschäftigten nach der konkreten Betrachtungsweise verschlossen.
Konkrete statt abstrakte Beurteilung des Arbeitsmarkts
Für die Beurteilung im Einzelfall entscheidend ist, ob zumutbare Arbeitsplätze vorhanden sind, die ein teilweise erwerbsgeminderter Beschäftigter mit seiner Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann. Als offen gilt der Arbeitsmarkt, wenn ihm ein geeigneter Arbeitsplatz angeboten wird. In der Praxis sind solche Teilzeit-Arbeitsplätze jedoch trotz der guten Arbeitsmarktsituation immer noch vergleichsweise rar. Hat der Teil-Erwerbsfähige aber bereits einen Teilzeit-Arbeitsplatz, gilt der Teilzeitarbeitsmarkt auch „dann nicht als verschlossen, wenn der Versicherte durch die Schwere oder Dauer der Arbeit gesundheitlich überfordert wird“, formuliert es ein Experte für Sozialrecht. „In diesen Fällen mutet sich der Versicherte selbst etwas zu, ohne vom Versicherungsträger dazu aufgefordert zu werden.“