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„Die Rente ist sicher“ sagte der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm. Und sicher kommt sie auch, jeden Monat und stets pünktlich. Aber lohnt es sich überhaupt in die Rentenkasse einzuzahlen? Bekommen Versicherte irgendwann im Ruhestand mehr heraus, als sie eingezahlt haben? Das fragen sich Millionen Beitragszahler. Der Finanzmathematiker und Rentenexperte Werner Siepe hat erstmals genau nachgerechnet. Seine Untersuchung zeigt: Bei den etwa 18 Millionen Rentnern ist die Gewinnschwelle, je nach Beitragsdauer und Geburtsjahr, bereits nach etwa 12 bis 14 Jahren erreicht. Künftige Rentner, das gilt vor allem für die junge Generation, werden viel länger Rente beziehen müssen, bis die Rente für sie zum lohnenden Geschäft wird. Was in der Studie alles noch steht – ein Überblick.
Wann sich für Standardrentner die Rente lohnt
Den Standardrentner oder die Standardrentnerin gibt es eigentlich gar nicht. Sie oder er wird regelmäßig als Rechengröße benutzt. Dabei handelt es sich um eine fiktive Person, die 45 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt hat und dabei jedes Jahr jeweils genauso so viel verdient hat wie der Durchschnitt aller Versicherten. Wann erreicht nun Standardrentner die Gewinnschwelle? Ist sie oder er am 1. Januar 1946 geboren und mit 65 Jahren am 1. Januar 2011 in Rente gegangen ist, hat die Person bereits nach elf Jahren und vier Monaten im Alter von 76 Jahren alle Rentenbeiträge wieder herausbekommen. Die Gewinnschwelle ist also bereits im Mai 2022 erstmals überschritten. Jeder Monat Rente mehr vergrößert den Gewinn.
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Warum die persönliche Bilanz gar nicht so schwer ist
Im Prinzip sind nur alle im Berufsleben gezahlten Rentenbeiträge zusammenzuzählen. Das ergibt die Beitragssumme. Diese Summe ist zu vergleichen mit allen bereits gezahlten monatlichen Bruttorenten und den in Zukunft zu erwartenden Monatsrenten. Beim 1946 geborenen Standardrentner beläuft sich die Beitragssumme auf immerhin 166.094 Euro. Die erste monatliche Rente 2011 betrug 1224 Euro, vor Abzügen für die Kranken- und Pflegekasse. Alle danach folgenden Rentensteigerungen von durchschnittlich 2,1 Prozent pro Jahr sind berücksichtigt. So beträgt seine Standardrente derzeit bereits 1538 Euro brutto. Mit dem Erreichen der Gewinnschwelle im Mai 2022 belaufen sich die ausgezahlten Renten auf 166.420 Euro, also schon etwas mehr als alle eingezahlten Beiträge.
Was mit den Sozialabgaben passiert
Von der Bruttorente sind normalerweise die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abzuziehen. In diesem Jahr sind dies für Rentnerinnen und Rentner etwa 11 Prozent. Darin stecken der halbe Beitrag für die Krankenkasse in Höhe von 7,95 Prozent und der volle Beitrag für die Pflegeversicherung, bei Rentnern mit Kindern 3,05 Prozent. Würde man diese Beiträge ebenso wie die bisherigen Rentensteigerungen berücksichtigen, käme dasselbe Ergebnis heraus: Der Standardrentner wäre von Mai 2022 an mit 76 Jahren und vier Monaten in der Gewinnzone.
Wie sich kürzere Beitragszeiten auswirken
Wer statt 45 nur 40 Beitragsjahre vorweisen kann, muss länger warten. Die Gewinnschwelle ist dann erst ein Jahr später erreicht, nach 12,38 Jahren im Alter von 77 Jahren und 5 Monaten. Eine Standardrentnerin mit 35 Beitragsjahren wäre sogar erst mit 78 Jahren und 5 Monaten und nach Auszahlungen über 13,43 Jahre in der Gewinnzone.
Warum es wichtig ist, mehr herauszubekommen, als eingezahlt zu haben
„Die Gewinnschwelle zu erreichen, sollte Altersrentnern eigentlich nicht genügen“, sagt Experte Siepe. Dann hätten sie zwar ihre Beiträge herausbekommen, aber noch keinen Überschuss erzielt. „Ihre Rentenrendite läge bei Null, ohne dass die Inflation berücksichtigt wurde. Sie würden also in heutiger Kaufkraft einen Verlust erleiden.“ Rentner haben jedoch ab Rentenbeginn laut den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes noch eine beträchtliche Lebenserwartung, die deutlich über die Jahre bis zum Erreichen der Gewinnschwelle hinausgeht. Die gesetzliche Rente sei nun einmal „keine Geldanlage, sondern die Wette auf ein langes Leben. Wer sehr lange und sogar über das laut Statistik erreichbare Alter hinaus lebt, gewinnt die Wette“, schreibt Siepe in seiner Untersuchung. „Wer jedoch vor Erreichen der Gewinnschwelle stirbt, verliert sie, so makaber dies auch klingen mag.“
Wann real existierende Rentner die Gewinnschwelle erreichen
Der Autor der Studie hat mehr als ein Dutzend Rentenbescheide ausgewertet von Rentnern, die in den Jahren 1942 bis 1954 geboren wurden und zwischen 2007 und 2020 in den Ruhestand gegangen sind. Alle waren Gutverdiener mit mindestens 35 Beitragsjahren und einer Erwerbsbiographie ohne Unterbrechungen, darunter sowohl Akademiker als auch Nicht-Akademiker, gesetzliche Versicherte wie auch einige wenige privat krankenversicherte Rentner. Die Gewinnschwelle war bei diesen Originalfällen frühestens nach gut 12 Jahren und spätestens nach gut 15 Jahren erreicht, also mindestens ein Jahr länger als beim gewählten Standardrentner mit 45 Beitragsjahren.
Wie es bei Topverdienern läuft
Auch hier konnte Siepe die Unterlagen von Originalfällen auswerten. Das Ergebnis: Rentner mit mindestens 40 Beitragsjahren, Verdiensten oberhalb der Bemessungsgrenze für Rentenbeiträge und geboren zwischen 1942 und 1957 benötigen nur knapp 12 bis gut 13 Jahre bis zur Gewinnschwelle. Siepe hat daraus die Faustregel abgeleitet: „Je mehr (weniger) Beitragsjahre, desto früher (später) wird die Gewinnschwelle erreicht. Für jeweils fünf Beitragsjahre mehr (weniger) kommt man ein Jahr früher (später) in die Gewinnzone.“
Warum die Arbeitgeberbeiträge mitzählen
Bei Arbeitnehmern zahlt der Arbeitgeber die Hälfte der Rentenbeiträge. Man könnte nun für die Berechnung der Gewinnschwelle nur mit den Beiträgen des Arbeitnehmers rechnen. Logische Folge: Die Gewinnschwelle wäre halbiert, also zum Beispiel von 12 auf 6 Jahre. Siepe hat sie jedoch in seiner Untersuchung berücksichtigt. Der Grund: „Arbeitgeberbeiträge sind im Endeffekt ein vorenthaltener Lohn.“
Wie künftige Rentner der Jahrgänge 1958 bis 2005 abschneiden
Hier wird ja noch keine Rente gezahlt. Deshalb lässt sich nur ungefähr hochrechnen, wann die Gewinnschwelle erreicht wird. Denn für künftige Rentenerhöhungen, Beitragssätze und Durchschnittsverdienste lässt sich lediglich auf Prognosen im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung zurückgreifen. Hilfreich ist aber die „Renteninformation“, die die Deutsche Rentenversicherung Versicherten mit mindestens 27 Jahren und wenigstens fünf Beitragsjahren einmal im Jahr zusendet. Darin steht sowohl die Summe aller bisher gezahlten Beiträge, als auch ein Hinweis auf die sogenannten Rentenanwartschaften, also die monatliche Rente, die Versicherte mit ihren Beiträgen bislang erwirtschaftet haben. In allen Fällen der Jahrgänge 1958 bis 2005 dauert es dann aber länger, bis die Gewinnschwelle erreicht sein könnte.
Wer die Gewinnschwelle viel später erreicht
Die Älteren profitieren noch von den im vergangenen Jahrzehnt überwiegend guten Jahren der Rentenversicherung. Ein 1961 Geborener, ein Originalfall, der 2027 mit 66 Jahren und 6 Monaten regulär in Rente gehen wird, erreicht die Gewinnschwelle zum Beispiel nach 14 Jahren. Dieser Gutverdiener mit bisher 35 Beitragsjahren und Rentenansprüchen von derzeit bereits knapp 1900 Euro müsste also schon 80 Jahre und vier Monate werden, um erstmals einen Rentengewinn zu haben. Bei einem im Jahr 1995 geborenen Standardrentner sind es bereits 16 Jahre und vier Monate. Und bei einer 2005 geborenen Standardrentnerin schon 17 Jahre und 8 Monate. Würde sie 2072 mit 67 Jahren in Rente gehen, müsste sie 85 Jahre werden, um in der Gewinnzone zu sein.
Wann die Legitimation der Rentenversicherung in Gefahr geraten könnte
Angenommen, die Grenze für den regulären Renteneintritt wird in ein paar Jahren doch noch auf 70 Jahre verschoben und die Lebenserwartung steigt wie erwartet weiter, dann könnte das gesetzliche Rentensystem in ein Glaubwürdigkeitsproblem geraten. So sieht es nicht nur Studienautor Siepe. „Heute 17-Jährige müssten dann schon fast 90 Jahre alt werden, um die Gewinnschwelle zu erreichen.“ Der Experte verweist hier auf den im Grundgesetz verankerten Eigentumsschutz für erworbene Rentenansprüche. „Dieser wäre dann unterhöhlt“, sagt Siepe und fügt hinzu: „Damit wäre die Akzeptanz des Rentensystems in Gefahr.“