
(dpa/tmn). Als Sophia 1980 in Leipzig das Licht der Welt erblickt, scheint für Familie Scholz noch alles in Ordnung. Doch zu Hause angekommen, trinkt das Baby nicht. Die Ärzte belächeln die Sorgen ihrer Mutter, sie bleibt beharrlich. Schnell wird klar: Mit Sophias Herz stimmt etwas nicht.
"Die mütterlichen Instinkte haben mein Leben gerettet", sagt Scholz heute. Schätzungen zufolge leben derzeit etwa 500.000 Personen in Deutschland mit einem angeborenen Herzfehler. 300.000 davon sind erwachsen.
Herzfehler ist nicht gleich Herzfehler
Man sieht ihnen nicht unbedingt an, dass sie krank sind. Das ist einerseits gut, kann es andererseits aber schwer machen, in einer auf Leistung getrimmten Gesellschaft zu bestehen. Manchen hilft es, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen. Außerdem ist es wichtig, sich ein Leben lang um das Herz zu kümmern.
Herzfehler ist nicht gleich Herzfehler: Über 200 angeborene Varianten gibt es, schätzt Ulrike Bauer vom Kompetenznetz Angeborene Herzfehler. Manche werden schon im Mutterleib entdeckt, andere machen sich erst im Erwachsenenalter bemerkbar.
90 Prozent erreichen heute hohes Erwachsenenalter
Bei Sophia Scholz ist die rechte Herzkammer nicht funktionstüchtig, ihr Körper bekommt permanent zu wenig Sauerstoff. Als sie etwa drei Jahre alt war, wurde sie auf Drängen ihrer Eltern in London behandelt.
Die Ärzte gestalteten in einer Operation Herz und Gefäße so um, dass das verbrauchte Blut aus dem Körper ohne Unterstützung einer Herzkammer direkt in die Lunge fließt. Eine einzige gesunde Herzkammer pumpt das Blut seit gut 35 Jahren durch den Körperkreislauf und den Lungenkreislauf.
Weil sich angeborene Herzfehler heute mittels solcher und anderer Operationen oder eines Katheters viel besser behandeln lassen als früher, erreichen über 90 Prozent der Patienten ein hohes Erwachsenenalter.
Patienten bleiben chronisch krank
Einige Herzerkrankungen erfordern einen Schrittmacher schon im Babyalter. Getan ist es damit aber nicht: Elektroden und Batterien müssen immer wieder getauscht werden, die Patienten bleiben chronisch krank - bloß dass ihre Umwelt das nicht unbedingt so wahrnimmt.
"Bis auf eine Narbe sieht man von meinem Herzfehler ja nichts", sagt etwa Sophia Scholz. Manche Menschen in ihrer Umgebung hätten daher früher gedacht, sie übertreibe. Zwei Ausbildungen brach die junge Frau ab, weil sie sich zu viel zumutete.
Ein Leben lang um Gesundheit kümmern
Drei Monate verbrachte sie wegen Depressionen und Selbstzweifel in einer psychiatrischen Klinik. "Erst mit 25 hat mir ein Kardiologe klargemacht, dass ich mit einem halben Herzen nicht alles machen kann und auch gar nicht muss", sagt Scholz.
Mittlerweile arbeitet sie selbstständig als Kosmetikberaterin bei einer Schweizer Firma. Privat engagiert sie sich für Kinder und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler. Für Menschen wie Scholz ist es wichtig, sich ein Leben lang um ihre Gesundheit zu kümmern, sagt Prof. Harald Kaemmerer vom Deutschen Herzzentrum München.
Verzicht auf Zigaretten, Alkohol und Drogen
"Schon im frühen Erwachsenenalter sind Bewegung und gesunde Ernährung wichtig, natürlich angepasst an den Zustand der Patienten", erläutert der Kardiologe. Dazu gehört auch der Verzicht auf Zigaretten, Alkohol und Drogen.
Scholz geht zudem nach wie vor alle sechs Monate zu einem Spezialisten. Das ist bei weitem nicht immer so, sagt Rhoia Neidenbach vom Deutschen Herzzentrum München. Sie leitet eine bundesweite Studie zur Versorgung von Menschen mit angeborenem Herzfehler und sagt: "In viel zu vielen Fällen vergessen die Patienten die lebenslang notwendige Nachsorge und gehen nicht zu Kontrolluntersuchungen."
Experte rät eine eigene Akte anzulegen
Ralph Stephan von Bardeleben vom Herzzentrum Mainz rät Patienten, sich eine eigene Akte anzulegen und Arztbriefe aufzuheben. "Oft kommen wir an Befunde aus dem Kindesalter nicht mehr heran, wenn die Erwachsenen zu uns kommen." Dann beginnt das Puzzlespiel.
Um das zu verhindern, können sich Eltern und erwachsene Patienten auch beim Nationalen Register für angeborene Herzfehler eintragen lassen. "Die Betroffenen geben uns ihre Einverständniserklärung und legen fest, welche Daten wir speichern dürfen", erklärt Ulrike Bauer, die auch Geschäftsführerin des Registers ist.
Bei der Jobsuche beraten lassen
Neben den medizinischen stellen sich für viele Betroffene auch eine Reihe weiterer Fragen. Beispielsweise nach dem Beruf. Denn je nach Schwere des Herzfehlers kommen Jobs, bei denen Lasten zu heben sind, gar nicht infrage.
Kaemmerer empfiehlt deshalb die Beratung durch einen Spezialisten oder einen Behindertenbeauftragten in der Agentur für Arbeit. Allerdings wisse auf den Ämtern auch nicht jeder etwas mit Menschen mit angeborenem Herzfehler anzufangen, gibt Scholz zu bedenken.
Wichtig: Selbst informieren und vernetzen
Sie hält es daher für wichtig, sich selbst zu informieren – etwa bei Patientenorganisationen wie der Deutschen Herzstiftung. Außerdem sei es gut, sich zu vernetzen, etwa in Selbsthilfegruppen wie Herzkind. Dort kann man sich austauschen und gegenseitig unterstützen.
Neben allen Herausforderungen, die er mit sich bringt, kann Sophia Scholz dem Herzfehler mittlerweile auch etwas Positives abgewinnen: "Ich kämpfe, seit ich klein bin, um mein Leben." Deshalb sei sie ein so positiver Mensch. "Ich weiß, dass Zeit begrenzt sein kann."
Weitere Informationen:
EMAH (Erwachsene mit angeborenem Herzfehler) Check des Bundeverbandes Herzkranker Kinder