Rente / 01.02.2019

Mindestsicherung wirft viele Fragen auf

Wissenschaftler zeigen sich über Handlungsbedarf einig. Doch die Umsetzung im deutschen Sozialsystem bleibt schwierig.

Alte Frau holt Münzen aus ihrer Geldbörse. Bild: IMAGO / Schöning / imago stock&people

Berlin (sth). Die in der Politik seit Jahren geführte Debatte über eine für die Zukunft befürchtete starke Zunahme von Altersarmut sorgt auch in der Wissenschaft für viele Diskussionen und Forschungsarbeiten. Das zeigte sich am Donnerstag während der Jahrestagung 2019 des Forschungsnetzwerks Alterssicherung (FNA) bei der Deutschen Rentenversicherung in Berlin. Dabei reichte das Spektrum der Debattenbeiträge am ersten Veranstaltungstag von einem Rückblick auf frühere - teilweise umstrittene Versuche - von Mindestsicherungselementen im deutschen Alterssicherungssystem bis zu aktuellen Forschungsdaten über die Zahl aktueller und künftiger ärmerer Menschen unter den Senioren in Deutschland.

Auf besonders viel Aufmerksamkeit stieß ein renommierter Forscher, dessen Arbeiten sich auf höchster juristischer Ebene auch in der Rechtsprechung niedergeschlagen haben: Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, lotete vor rund 150 Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Rentenversicherung die verfassungsrechtlichen Spielräume für eine sozialpolitische Neuorientierung bei der Alterssicherung von Geringverdienern aus. Seine Botschaft an den Gesetzgeber, der in den nächsten Monaten eine "Grundrente" für die Betroffenen auf den Weg bringen will: "Mindestsicherungselemente sind unbedenklich, wenn dabei das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung nicht ausgehebelt wird." Das Äquivalenzprinzip besagt, dass gezahlte Rentenbeiträge im Alter für jeden Versicherten zu einer gleich hohen Rente führen müssen.

Problemfälle Selbstständige und Teilzeitbeschäftigte

Mit Blick auf die große Zahl für armutsgefährdet gehaltener Selbstständiger sah der ranghöchste deutsche Richter der Jahre 2002 bis 2010 kein verfassungsrechtliches Problem darin, die etwa drei Millionen nicht obligatorisch gesicherten Unternehmer hierzulande zur Altersvorsorge zu verpflichten. Größere juristische Probleme könnte es Papier zufolge allerdings aufwerfen, die vielen Teilzeitbeschäftigten mit geringem Einkommen in das von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) angedachte Grundrenten-Modell einzubeziehen. Denn auch sie dürfen nach Ansicht Papiers - ebenso wie Versicherte mit größeren Lücken im Versicherungsverlauf - nicht von der geplanten Aufstockung kleiner Renten ausgenommen werden. Laut Koalitionsvertrag von Union und SPD ist vorgesehen, dass Versicherte mit mindestens 35 Beitragsjahren - darunter auch Zeiten der Kindererziehung und Pflege - künftig eine Rente von zehn Prozent oberhalb der örtlichen Grundsicherung bekommen sollen. Damit soll die Akzeptanz und Legitimation der Rentenversicherung langfristig gestärkt werden.

Vielfältige Probleme bei der Umsetzung des Regierungsplans sagte auch der renommierte Sozialforscher Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg-Essen voraus. "Wie soll die Grundrente aussehen? Woran ist sie gekoppelt?", fragte Bäcker rhetorisch in Richtung Bundesregierung. Klar scheine bisher nur, dass die Verwaltung der Grundrente wegen fehlender Daten nicht bei der Rentenversicherung liegen könne. Zudem dürfe es keine Vermischung von durch Beiträge geschützten Versicherungsleistungen und steuerfinanzierten Fürsorgezahlungen geben. Zur Erhöhung kleiner Rentenansprüche könnte nach Ansicht Bäckers eine Wiedereinführung der Pflichtbeiträge für Langzeitarbeitslose sowie die Verlängerung der schon bis 1991 gezahlten Rente nach Mindestentgeltpunkten beitragen. Dieses Modell erhöhte Versicherungsjahre mit niedrigen Beitragszahlungen um bis zu 50 Prozent.

Mehr zum Thema:

www.fna-rv.de

Link zu weiteren Informationen über die Jahrestagung 2019 des Forschungsnetzwerks Alterssicherung

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Autor

Stefan Thissen