Rente / 05.11.2018

"Ordnungspolitisch nicht vertretbar"

Bundestags-Anhörung: Rentenversicherung wehrt sich gegen die Zuweisung der Kosten für die Mütterrente II.

Berlin/Bad Homburg (sth). Die Rentenversicherung stellt sich hinter die Ziele des Rentenpakets der Bundesregierung, warnt aber vor einer aus ihrer Sicht teilweise unzulässigen Ausgabenzuweisung. So sollen nach den Regierungsplänen die Kosten für die sogenannte Mütterrente II – wie schon bei der ersten Stufe der Mütterrente – von den Beitragszahlern und nicht aus Steuermitteln getragen werden. Eine solche Finanzierung sei "ordnungspolitisch nicht vertretbar", heißt es in der schriftlichen Stellungnahme der Rentenversicherung für eine heutige Expertenanhörung des Bundestags-Sozialausschusses. Mit der Mütterrente II soll Müttern (oder Vätern) vor 1992 geborener Kinder in der Rente ein weiterer halber Entgeltpunkt für ihre Erziehung anerkannt werden. Damit würde die Rente dieser Elternteile monatlich um derzeit etwa 16 Euro brutto steigen. Die Bundesregierung beziffert die zusätzlichen Ausgaben für die Mütterrente II auf etwa 3,8 Milliarden Euro pro Jahr.

Zurückhaltend beurteilen die 16 gesetzlichen Rentenversicherer die geplante "doppelte Haltelinie" für den Rentenbeitrag und das Rentenniveau bis zum Jahr 2025. Danach soll das Sicherungsniveau der Rente – nach Abzug von Krankenversicherungs- und Pflegebeiträgen, aber vor Steuern – für Durchschnittsverdiener mit 45 Beitragsjahren auf mindestens 48 Prozent ihres früheren Nettoverdiensts festgeschrieben werden. Zugleich soll der Rentenbeitrag über den ursprünglich vorgesehenen Zeitrahmen von 2020 hinaus bei höchstens 20 Prozent stabilisiert werden. Dies sei "ein Weg", um die Interessen der 21 Millionen Rentner und mehr als 30 Millionen rentenversicherten Beschäftigten sowie ihrer Arbeitgeber "im Gleichgewicht zu halten", stellt die Rentenversicherung fest. Die langfristige Finanzierbarkeit der Haltelinien bleibe mit dem Gesetz allerdings "ungeklärt".  

Längere Zurechnungszeit für Erwerbsgeminderte "nachvollziehbar"

Positiv bewerten die Rentenkassen die geplante abermalige Verlängerung der sogenannten Zurechnungszeit für Erwerbsgeminderte. Sie soll für künftige Frührentnerinnen und Frührentner ab 2019 bis zu einem rechnerischen Rentenbeginn mit 65 Jahren und acht Monaten verlängert werden, für neue Erwerbsgeminderte der Folgejahre dann schrittweise bis zum 67. Lebensjahr. Derzeit verlängert die Zurechnungszeit die Versicherungszeit von chronisch kranken Beschäftigten und Unfallopfern ab Beginn der Erwerbsminderung bis zu einem Alter von 62 Jahren und drei Monaten.

Zwar sind die Erwerbsminderungsrenten schon durch die letzte Rentenreform ab Juli 2014 deutlich gestiegen. Doch noch immer benötigen etwa 15 Prozent der Betroffenen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts ergänzende Grundsicherung. Durch die Reform könnte eine Frührente je nach früherem Verdienst des Erwerbsgeminderten um schätzungsweise weitere 70 bis 120 Euro monatlich steigen. Die geplante Verbesserung erscheine "sozialpolitisch nachvollziehbar", so die Rentenversicherung. Die meisten künftigen Frührentner dürften dann keine zusätzliche staatliche Unterstützung mehr benötigen. Die von den Gewerkschaften und Sozialverbänden geforderte Abschaffung der Abschläge auf Erwerbsminderungsrente lehnt die Rentenversicherung deshalb auch ab. Für heutige Erwerbsgeminderte verbessert sich die Lage durch die Reform allerdings nicht.

Geplante Begünstigung von Geringverdienern wenig zielgenau

Kritisch beurteilen die Sozialexperten der Rentenversicherung die geplante Ausweitung des sozialbeitragsreduzierten Übergangsbereichs von Geringverdienern (derzeit 450 bis 850 Euro Monatsverdienst) auf künftig bis zu 1.300 Euro. Problematisch sei vor allem die mangelnde Zielgenauigkeit der Regierungspläne, monieren die Rentenversicherer. So könnten dem Gesetzentwurf zufolge auch gut verdienende Selbstständige oder Beamte von der Begünstigungsklausel profitieren, die nur nebenbei einer gering bezahlten versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Auch fehle eine Klarstellung, ob der vorgesehene volle Rentenanspruch trotz verringerter Rentenbeitragszahlung nur Vollzeitbeschäftigten oder auch Teilzeitarbeitnehmern zugute kommen solle.

Für nicht nachvollziehbar halten die Rentenversicherer schließlich, dass versicherungspflichtige Selbstständige im Niedriglohnbereich auch weiterhin von den Vorteilen des Übergangsbereichs ausgeschlossen bleiben sollen. Schon bisher hätten nur Arbeitnehmer von dem reduzierten Sozialversicherungsbeitrag für Geringverdiener profitiert. Die geplante Neuregelung habe zur Folge, dass Unternehmer mit geringem Einkommen die mit der Reform verbundene Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung zugunsten der Arbeitnehmer "sogar mitfinanzieren" müssten, heißt es in der Stellungnahme der Rentenversicherung.    

Mehr zum Thema:

www.bundestag.de

Link zu den schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen für die Anhörung zum Rentenpaket im Bundestags-Sozialausschuss am 5. November 2018 (im pdf-Format)

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Autor

Stefan Thissen