
Nürnberg/Bad Homburg (sth). Etwa 235.000 Erwerbstätige in Deutschland arbeiten als Scheinselbstständige. Das geht aus einer am Wochenende veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur Abgrenzung von Selbstständigen und Beschäftigten hervor. Es gebe aber "keine Hinweise", dass sich ihre Zahl seit Mitte der 1990er-Jahre "wesentlich erhöht hätte", heißt es in der Studie. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre hatte die verstärkte Ausgliederung von Arbeitnehmern aus Unternehmen und ihre Weiterbeschäftigung als vermeintlich Selbstständige zu zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen geführt. Darum rief die Bundesregierung seinerzeit auch eine bei der Deutschen Rentenversicherung angesiedelte Clearingstelle ins Leben, bei der Betroffene und Unternehmen den Status von Erwerbstätigen klären lassen können.
Keine Hinweise auf höhere Zahlen als Ende der 1990er-Jahre
Im Vergleich zu einer ersten Scheinselbständigen-Studie des IAB, die auf Daten von 1995 basierte und 1998 publiziert wurde, habe die Bedeutung der Scheinselbstständigkeit in den vergangenen 20 Jahren sogar "leicht abgenommen", schreiben die IAB-Forscher Hans Dietrich und Alexander Patzina. Die Studie zeige auch, dass sich "gerade die schwächeren Arbeitsmarktteilnehmer mit höherer Wahrscheinlichkeit in scheinselbständigen Erwerbspositionen befinden, während Erwerbstätige mit günstigen Arbeitsmarktvoraussetzungen häufiger Vertragskonstruktionen aushandeln können". So seien jüngere Erwerbstätige unter 25 Jahren sowie Berufseinsteiger "mit höherer Wahrscheinlichkeit scheinselbständig" als ältere oder langjährig berufserfahren Erwerbstätige. Zudem verdienten Scheinselbständige im Schntt "deutlich weniger" als Arbeitnehmer und echte Selbstständige, heißt es in der Untersuchung.
Formal selbstständig – tatsächlich abhängig
Scheinselbstständige sind formal selbstständig und müssen für ihre soziale Absicherung dehalb selbst aufkommen, sind aber tatsächlich an Weisungen ihrer Auftraggeber gebunden und vielfach wie Arbeitnehmer in Betriebsabläufe eingebunden. Sie haben darum auch einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihre Auftraggeber – wie für andere Arbeitnehmer – die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge für sie entrichten. Die jetzt vom IAB ermittelte Zahl der Scheinselbstständigen beruht auf einer Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Beschäftigten, die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelt wurde. Nach dem BAG-Modell fallen etwa 0,7 Prozent aller Erwerbstätigen (ohne Beamte und Landwirte) unter die Gruppe der Scheinselbstständigen. Laut einem vom Bochumer Arbeitsrechtler Rolf Wank entwickelten Alternativmodell sind dagegen 436.000 Erwerbstätige scheinselbstständig tätig, das wären etwa 1,3 Prozent.
Link zur aktuellen IAB-Studie
Link zu einer ausführlichen Darstellung der IAB-Studie im IAB-Kurzbericht (im pdf-Format)
www.deutsche-rentenversicherung.de
Link zu weiteren Informationen über das Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung