
Brüssel/Bad Homburg (sth). Viele OECD-Staaten setzen bei der Reform ihrer Alterssicherungssysteme auf eine Stärkung der sogenannten ersten Säule, also der staatlichen Rentenversicherung. Das geht laut einer Bewertung des Europabüros der Deutschen Sozialversicherung (DSV) aus der kürzlich vorgestellten Studie „Renten auf einen Blick 2021“ (englisch: Pensions at a Glance) hervor. Zu den Staaten, die ihr gesetzliches Rentensystem in den vergangenen Jahren verbessert haben, gehören nach Darstellung der DSV-Vertretung in Brüssel die EU-Staaten Polen, Slowenien und Ungarn, „die die Rentenleistungen deutlich erhöht“ hätten.
Eine vorrangige Betonung der ersten Säule sei jedoch „nicht gleichbedeutend mit einer Ausweitung” des umlagefinanzierten Rentensystems, betont die DSV. So werde Griechenland die umlagefinanzierten Zusatzrenten durch ein „kapitalgedecktes System mit Beitragsprimat“ ersetzen. Damit würden die bisher aus Rentenbeiträgen bezahlten Zusatzrenten durch in der Höhe begrenzte Einzahlungen ersetzt, die am Kapitalmarkt angelegt werden. Daneben zeichne sich ein „klarer Trend“ ab, die Renten von Beschäftigten mit einem niedrigen Einkommen während des Erwerbslebens aufzustocken, so die Brüsseler Sozialexperten. „Hierzu gehören auch die EU-Länder Deutschland und Lettland“.
Lebensarbeitszeit und Rentenbezugszeit aneinander binden
Die OECD spricht sich der DSV zufolge dafür aus, die Lebensarbeitszeit und die Rentenbezugszeit in ihren 38 Mitgliedstaaten künftig automatisch aneinander zu binden. Automatische Anpassungsmechanismen erhöhten die „Wahrnehmung mittel- bis langfristiger Ziele“, begründet die DSV die Position der OECD, während staatliche Eingriffe „eher von kurzfristigen Zielsetzungen geleitet“ seien. Als „spezifischen automatischen Anpassungsmechanismus“ bewerbe die OECD das Verfahren, die Regelaltersgrenze an die fernere Lebenserwartung zu koppeln, so die DSV. Dazu sollten zwei Drittel der erwarteten längeren durchschnittlichen Lebenszeit auf Arbeitszeit und ein Drittel auf einen längeren Rentenbezug entfallen.
Ein solcher Mechanismus „kann zur langfristigen finanziellen Tragfähigkeit der Alterssicherungssysteme beitragen“, meint die deutsche Europavertretung und unterstreicht damit, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, die anstehenden demografischen Herausforderungen zu bewältigen. Allerdings sei dieser Ansatz „nicht verteilungsneutral“. So hätten eine geringe Bildung und ein niedriger sozialer Status oder belastende Arbeitsbedingungen eine „signifikante Auswirkung auf die Lebenserwartung“ – bei Männern noch mehr als bei Frauen. Eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze belaste diese benachteiligten Gruppen deshalb „überproportional“, schreiben die Brüsseler DSV-Fachleute.