
Nürnberg (iab/sth). Es war die einschneidendste Reform des deutschen Arbeitsmarkts seit der Agenda 2010: die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahre 2015. Der Ökonom Oliver Bruttel, der die Geschäftsstelle der paritätisch von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite besetzten Mindestlohnkommission leitet, hat jetzt eine Studie über die Wirkungen des Mindestlohns in einem englischsprachigen Beitrag für das Journal for Labour Market Research verfasst. Hier die wichtigsten Ergebnisse auch auf Deutsch:
- Insgesamt waren vier Millionen beziehungsweise 11,3 Prozent aller Beschäftigten von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns betroffen. Deren Lohnniveau lag vor der Reform unterhalb des ursrpünglichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro. Dabei war der prozentuale Anteil im Osten mit 20,7 Prozent weitaus höher als im Westen mit 9,3 Prozent.
- Unter Ökonomen besteht Einigkeit, dass die Stundenlöhne der Geringverdiener dank des Mindestlohns beträchtlich gestiegen sind. Zwischen 2014 und 2016 – in der Zeit also, in der der Mindestlohn in Kraft trat – lag dieser Zuwachs für die betroffenen Beschäftigten laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Mindestlohnkommission im Schnitt bei rund 14 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen 1998 und 2014 legten deren Stundenentgelte innerhalb von jeweils zwei Jahren durchschnittlich nur um 1 Prozent zu. Insbesondere Frauen, Geringqualifizierte, Beschäftigte kleinerer Unternehmen und Minijobber profitierten von der unteren Lohngrenze – ganz überwiegend im Dienstleistungsbereich.
- De höheren Stundenlöhne führten laut Bruttel aber nicht oder nur in begrenztem Umfang zu höheren Monatslöhnen. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Einführung des Mindestlohns in vielen Fällen zu einer Reduzierung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten führte.
- Die Zahl der Aufstocker, also der Beschäftigten, die zusätzlich Arbeitslosengeld II beziehen, sank durch den Mindestlohn kaum. Denn der gesetzliche Mindestlohn war mit 8,50 Euro pro Stunde so bemessen, dass ein alleinstehender Vollzeitbeschäftigter kein Arbeitslosengeld II – kurz: "Hartz IV" – mehr benötigt. Allerdings leben in vielen Hartz-IV-Haushalten auch Kinder, die weiterhin Sozialleistungen erhalten. Zudem fällt die wöchentliche Arbeitszeit von Aufstockern vielfach gering aus. Ein weiterer Grund sind die hohen Mieten in den Städten.
- Weitgehende Einigkeit besteht unter Wissenschaftlern darin, dass der Mindestlohn die Zahl der Minijobber gesenkt, die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jedoch allenfalls in geringem Maße beeinflusst hat.
Einschränkend weist Bruttel in seiner Überblicksstudie darauf hin, dass der Mindestlohn in einem konjunkturell günstigen Gesamtumfeld eingeführt wurde. Ob die Effekte in einem weniger günstigen Umfeld anders ausgefallen wären, ist daher eine offene Frage – ebenso, welche längerfristigen Effekte des Mindestlohns sich angesichts der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung ergeben.
Englischsprachige Studie von Oliver Bruttel für das Journal for Labour Market Research (im pdf-Format)