Altersvorsorge / 14.09.2020

Staatsfonds zur Altersvorsorge: Vorbild Norwegen?

Norwegen verspricht seinen Bürgern eine Garantierente – auch ohne Arbeit. Dafür sorgt der größte Staatsfonds der Welt. Was steckt dahinter?

Betriebsrat: Hände eines Mannes bilden ein Dach über einem Kreis von Papierfiguren, die sich an den Händen halten.

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Je offensichtlicher die Mängel der Riester-Rente werden, desto stärker rücken andere Modelle der Altersvorsorge in den Fokus. Immer öfter richtet sich der Blick auf Länder wie Norwegen oder Schweden, die mit staatlichen Pensionsfonds die Renten ihrer Bevölkerung sichern wollen.

Die Idee: Der Staat investiert lukrativ am internationalen Kapitalmarkt und finanziert aus den Gewinnen die Altersbezüge. Zuletzt hatten der ehemalige Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart und die AfD-Politikerin Alice Weidel für ein Modell wie in Norwegen plädiert.

Staatsfonds dienen nur selten der Altersvorsorge

Weltweit gibt es rund 120 Staatsfonds, vor allem in rohstoffreichen Ländern oder Exportnationen mit niedrigen Lohnkosten, etwa in den Ölländern der Golfregion oder in China. In Japan soll der Government Pension Investment Fund die Renten der Beamten sichern. Schweden setzt seit vielen Jahren auf die Kombination von umlagefinanzierter Rente und staatlichen Pensionsfonds – ebenso wie Kanada mit dem Canada Pension Plan (CPP).

Meistens dienen Staatsfonds aber anderen Zielen. In Russland etwa sichert der Stabilisierungsfonds Preisschwankungen bei Rohstoffen ab, chinesische und saudi-arabische Staatsfonds investieren gezielt in strategisch wichtige Branchen oder Technologien fremder Länder. Und natürlich sollen die Staatsfonds auch für die Zeit vorsorgen, wenn Öl-, Gas und Rohstoffvorkommen ausgebeutet sind. So ist es etwa in Kuwait mit dem Future Generations Fund oder in Norwegen mit dem staatlichen Pensionsfonds.

Norwegens Staatsfonds ist der größte der Welt

Der staatliche Pensionsfonds in Norwegen entstand 2006. Er ist ein Zusammenschluss des 1967 gegründeten staatlichen Pensionsfonds, der die Mittel der Sozialversicherung verwaltet, und dem 1990 gegründeten Staatlichen Pensionsfonds Ausland, in den die Gewinne aus Öl und Gas fließen. Er ist heute der größte Staatsfonds der Welt, mit einem Vermögen von gut einer Billion US-Dollar, rein rechnerisch um die 180.000 Dollar pro Einwohner. Er investiert zu rund zwei Dritteln in Aktien, breit gestreut auf über 9.000 Unternehmen, und besitzt rund 1,4 Prozent aller weltweiten Aktien.

Staat garantiert 1.600 Euro Rente

Aus dem norwegischen Staatsfonds dürfen jährlich bis zu drei Prozent des Kapitals in den Staatshaushalt überführt werden. Damit werden etwa die in den Rentenversicherungsbeiträgen enthaltene Kranken- und Arbeitslosenversicherung oder die Garantierente finanziert.

Die Garantierente beträgt umgerechnet rund 1.600 Euro im Monat, muss aber versteuert werden. Sie erhält jeder Bedürftige, der 40 Jahre Mitglied der norwegischen Sozialversicherung war – auch wenn er nie gearbeitet hat. Die volle einkommensabhängige Rente gibt es ebenfalls ab 40 Beitragsjahren, darunter wird gekürzt.

Das reguläre Rentenalter liegt bei 67 Jahren. Mit Kürzungen lässt sich ab 62 in Rente gehen. Zudem gibt es eine obligatorische Betriebsrente, in die der Arbeitgeber mindestens zwei Prozent des Bruttolohns einzahlen muss. Wie dieses Geld angelegt wird, darf der Arbeitnehmer entscheiden.

Gefahr politischer Einflussnahme

In Deutschland stoßen derlei Konzepte auf unterschiedliche Resonanz. Die Finanzwirtschaft ist nicht begeistert, muss sie doch um Geschäft fürchten. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zweifelt daran, dass der Staat ein guter Vermögensverwalter ist, und sieht jede Menge Gefahren: zu hohe Risiken, fehlende Kapitalstreuung oder zweckentfremdete Gelder.

Als Negativbeispiel wird gerne Irland mit seinem 2001 gegründeten staatlichen Pensionsreservefonds genannt. Hier hatte die irische Regierung jährlich ein Prozent des Sozialprodukts eingezahlt, um mit den Erträgen die steigenden Pensionslasten ab 2025 abzufedern. Der Großteil lag in Aktien. In der Finanzkrise wurde ein Teil des Geldes jedoch zur Bankenrettung zweckentfremdet, mittlerweile gibt es gar keine Bindung an die Rente mehr. Auch beim spanischen Reservefonds, der die Rente robuster machen sollte, wurden die Mittel zweckentfremdet.

Ablehnung bei Arbeitgebern und Gewerkschaften

So sehen Thomas Lueg und Peter Schwark vom GDV die Gefahr der „politischen Einflussnahme auf die Kapitalanlage“. Die Autoren kritisieren in ihrem Beitrag für die „Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zudem die „hochriskante Anlagestrategie“. Ihr Fazit: Ein Staatsfonds zur individuellen Alterssicherung sei „kein Modell für Deutschland“.

Auch die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht „keine überzeugenden Vorteile“ eines Staatsfonds. Ebenso die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba). Die tatsächlichen Kosten von Staatsfonds würden schöngerechnet, glaubt deren Vorsitzender Georg Thurnes, da der administrative Aufwand auf die Arbeitgeber verlagert und die Kosten der Auszahlungsphase negiert würden. Thurnes würde lieber die betriebliche Altersvorsorge gestärkt sehen.

Zur Idee eines Staatsfonds hat sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bereits 2016 kritisch geäußert, als die Idee der Deutschlandrente aufkam. Der DGB bezweifelt vor allem, dass die risikoaversen deutschen Sparer einem Staat vertrauen würden, der ihr Geld in riskante Investitionen am Kapitalmarkt steckt.

Wissenschaftler entwickeln Modelle

Wissenschaftler sind da offener – und entwickeln Ideen: Clemens Fuest etwa, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, schlägt einen Bürgerfonds vor, in dem jeder erwachsene Bürger Mitglied wird. Aus Steuereinnahmen und zusätzlichen Schulden baut der Fonds ein Vermögen auf, dessen Erträge dann ab dem 67. Lebensjahr ausgezahlt werden. Wichtig: Auf das Fondsvermögen darf die Politik keinen Zugriff haben.

Giacomo Corneo, Finanzprofessor an der TU Berlin, hat ein ähnliches Modell vorgeschlagen, bei der ab 67 eine Altersdividende aus dem Fondsvermögen ausgezahlt wird, zusätzlich zu allen anderen Sozialleistungen.

Verbraucherschützer fordern Riester-Alternative

Klare Vorstellungen haben die Verbraucherzentralen. Deren Bundesverband wünscht sich – explizit als Alternative zu Riester – die Extrarente, einen staatlichen Kapitalstock, der ausschließlich im Sinne der Verbraucher, vor staatlichem Zugriff und den Interessen der Finanzindustrie geschützt, von unabhängigen Finanzprofis gemanagt wird.

Dabei blicken die Verbraucherschützer neben den Renditechancen der Kapitalmärkte vor allem auf niedrige Verwaltungsgebühren, die – wie etwa das Beispiel Schweden zeigt – bei 0,2 Prozent im Jahr oder niedriger liegen können. Bei privat gemanagten Fonds dagegen werden schnell ein bis zwei Prozent fällig.

Ob ein wie auch immer gearteter staatlicher Rentenfonds in Deutschland kommen wird, ob als Ersatz oder im Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Angeboten, ist heute reine Spekulation. Die Politik scheint nach wie vor gespalten, auch innerhalb der Parteien. Das Thema wird zwar zunehmend diskutiert. Womöglich wird man aber vor einem derart radikalen Systemschnitt zunächst versuchen, die Schwächen der Riester-Rente zu beheben und diese wieder attraktiver zu machen.

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Autor

Jürgen Baltes